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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatte,
fühlte die Gefahr, die sich rings um sie herum zusammenballte; nicht die bloße
physische Gefahr eines Ortes wie diesem mit all seinen unsichtbaren Fallen,
Hindernissen und Abgründen, die einem unvorsichtigen Eindringling nur zu leicht
zum Verhängnis werden konnten, sondern eine andere, viel größere Gefahr, die
direkt ihr galt.
    Das beunruhigende Geräusch war lauter geworden, wenn auch
nicht deutlicher. Mehr denn je erinnerte es sie an einen düsteren Herzschlag,
der zugleich etwas wie eine unaussprechliche Drohung beinhaltete, nicht näher
zu kommen.
    Dann, ganz plötzlich, wurde ihr klar, was sie da hörte: Musik. Und
mit diesem Begreifen erkannte sie sie auch. Gregorianische Chöre, düster,
bedrohlich und unheimlich zugleich, und in dieser ganz speziellen Umgebung von
einer nie gekannten Intensität, die ihr beinahe die Luft nahm.
    Dennoch atmete sie insgeheim auf. Es war Musik, nicht mehr. Nichts,
wovor sie Angst haben musste; nicht jene Art von Angst, die wie giftiger Nebel
aus einem ihr bis zu diesem Moment unbekannten Teil ihres Unterbewusstseins
emporstieg und ihr das Denken schwer machte. Sie war auf dem richtigen Weg. Das
allein zählte.
    Dennoch blieb sie natürlich auf der Hut, als sie ihren Weg fortsetzte.
Sie ging immer nur drei oder vier Schritte weit, bevor sie sich aufmerksam nach
rechts und links umsah und lauschte. Auch wenn sich das graue Zwielicht rings
um sie herum weiter hartnäckig weigerte, sich zu irgendeinem erkennbaren Bild
zusammenzufügen, so bekam sie doch allmählich ein Gefühl für ihre Umgebung. Sie
befand sich in einem offensichtlich sehr großen und ebenso offensichtlich
vollkommen leeren Raum, näherte sich aber seinem Ende. Vor ihr war ein
Hindernis, massiv und groß – offensichtlich eine Wand –, und das graue Licht,
das sie hierher gelockt hatte, sickerte durch eine halb offen stehende und
schräg in den Angeln hängende Tür. Es gab noch andere Lichtquellen, kleiner und
über ihr: Löcher in der Decke, wo Rohrleitungen und Kabelschächte
herausgerissen worden waren, unregelmäßige Einbrüche, wo der Beton allen
Versicherungen seiner Erbauer zum Trotz dem Zahn der Zeit schon nach wenigen
Jahrzehnten nachgegeben hatte, und andere, nicht zu identifizierende
Durchlässe. Aber ihr Ziel lag vor ihr. Die Musik, die nun ganz deutlich zu
hören war, kam aus dem Raum hinter der offenen Tür.
    Und nun identifizierte sie auch andere Laute: Schritte (Stimmen?),
ein beständiges Rascheln und Huschen und vielleicht etwas wie ein halblautes,
fast ersticktes Schluchzen. Ein Teil von ihr registrierte entsetzt, dass sie
mit einem Male über das gute Gehör einer Fledermaus zu verfügen schien, die
sich in dieser völligen Dunkelheit nur anhand von Geräuschen zurechtfand. Sie
versuchte dem befremdlichen Gedanken mit Logik beizukommen. Schließlich hatte
sie stets ein gutes Gehör gehabt, und wahrscheinlich hatte sich das Verhältnis
von Blut und Adrenalin in ihrem Kreislauf mittlerweile umgekehrt, was sie zu
dieser erstaunlichen Leistung befähigte.
    Sie erreichte die Tür, lauschte mit angehaltenem Atem und wagte erst
dann, vorsichtig hindurchzuspähen. Auch dahinter war nichts anderes als graues
Licht und lautlos hin und her huschende Schatten zu erkennen. Die Geräusche
wurden nochmals lauter. Sie identifizierte jetzt mindestens zwei Personen, die
sich gedämpft unterhielten, auch wenn sie die Worte nicht verstehen konnte, und
nun ganz eindeutig etwas wie eine Mischung aus einem Schluchzen und halb
erstickten Atemzügen. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Die Mädchen waren hier.
    Conny wartete, bis sich die tanzenden Schatten vor ihren
Augen zu verschwommenen Umrissen zusammengefügt hatten und sie zumindest eine
vage Vorstellung von dem bekam, was sie erwartete; nichts Dramatischeres als
ein weiterer leerer Raum, der allerdings kaum mehr als zehn oder zwölf Schritte
maß und von dem eine Anzahl Türen in alle Richtungen abzweigten. Ein blasser,
gelblicher Lichtschein wies ihr den Weg zu der, hinter der ihr Ziel lag.
Behutsam schlich sie weiter, spürte, wie ihr Fuß gegen ein Hindernis zu stoßen
drohte, und prallte zurück, atmete aber zugleich auch insgeheim erleichtert
auf. Die Fledermaus in ihr war anscheinend immer noch wachsam.
    Die Musik verstummte plötzlich. Ein hartes, metallisches Klacken
erklang, und der düstere Gesang

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