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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geglaubt haben. Vergessen Sie, warum Sie diesen Beruf irgendwann
einmal ergriffen haben. Werden Sie rücksichtslos und gemein und hart, und Sie
werden eine gute Polizistin … oder wenigstens eine erfolgreiche.«
    Conny begriff nur ganz allmählich, worauf er hinauswollte.
Sie hätte über diesen naiven Versuch lächeln sollen, doch das genaue Gegenteil
war der Fall: Sein Versuch, so gut er gemeint sein mochte, erschreckte sie.
Ganz einfach, weil er sich irrte.
    Er musste sich irren, denn wenn es nicht
so war, dann bedeutete das nichts anderes, als dass sie wirklich verrückt war. Aber sie sagte nichts. Sie hatte das sichere Gefühl, dass
es wichtig für sie war, ihn einfach reden zu lassen.
    Â»Und wer weiß – vielleicht hat er sogar recht«, sagte Trausch
plötzlich.
    Â»Wer?« Conny versuchte zu lächeln, aber sie spürte selbst, wie
kläglich es misslang. »Ihr Vlad – oder meiner?«
    Â»Glauben Sie wirklich, da gäbe es einen Unterschied?«, erwiderte
Trausch. Er hatte sich ein wenig zurückgelehnt, sodass sein Gesicht im Schatten
lag und sie sein Lächeln nicht wirklich deuten konnte; aber es kam ihr traurig
vor. Erst jetzt fiel ihr auf, dass in dem großen Zimmer kein Licht brannte. Die
einzige Helligkeit kam von den beiden Kerzen auf dem Tisch zwischen ihnen.
Bisher war ihr diese Beleuchtung angenehm vorgekommen, eine winzige Insel aus
warmem, gelbem Licht in einem Ozean aus Schatten, auf die Trausch und sie sich
zurückgezogen hatten. Plötzlich begann ihr die Dunkelheit ringsum Unbehagen zu
bereiten. Bewegte sich etwas darin?
    Nein, natürlich nicht.
    Â»Sie sind ihm begegnet«, stellte sie fest.
    Â»Ja«, antwortete er. »Viel zu oft. Was glauben Sie, warum ich hier
bin?«
    Das verstand Conny nicht, und sie sagte es auch. »Ich meine nicht
hier, in diesem Haus, oder jetzt, mit ihnen.« Trausch lachte leise. Es klang
bitter, und der Umstand, dass sein Gesicht dabei noch weiter in die Schatten
zurückwich und sie die Art seines Lachens nicht deuten konnte, machte etwas
Unheimliches daraus. »Ich war nicht immer so«, fuhr er fort. »Ich habe auf ihn gehört; früher. Ich war sehr erfolgreich,
bevor ich hergekommen bin. Wussten Sie, dass ich der jüngste
Kriminalhauptkommissar aller Zeiten war? Ich hatte eine Aufklärungsquote von
annähernd hundert Prozent. Erstaunlich, nicht? Hätte ich weitergemacht, dann
wäre ich heute Ihr Vorgesetzter, und nicht Kollege
Eichholz. Mindestens. Wahrscheinlich wäre ich schon Polizeipräsident … oder tot
oder im Gefängnis.«
    Â»Was ist passiert?«, wollte Conny wissen. Sie hatte ein
unbehagliches Gefühl, weniger wegen dem, was er ihr sagte, sondern wegen der
Art, auf die er es tat. Was vorhin so leichtfertig zerstört worden war, schien
plötzlich wieder da zu sein, aber anders, filigraner und tiefer gehender – in
seiner Stimme war eine Intimität, vor der etwas in ihr instinktiv
zurückschreckte. Hatte sie sich nicht vorgenommen, ihm ihr Herz auszuschütten? Und nun war es genau umgekehrt.
    Â»Ich habe auf ihn gehört«, antwortete er. »Ich bin den Handel
eingegangen. Ich bin so geworden wie er. Ich war gemein. Ich war brutal. Ich
war rücksichtslos und ungerecht, und ich habe mich einen Scheißdreck um andere
gekümmert. Ich war der Meinung, dass nur ein Verbrecher einen Verbrecher fangen
kann, und das Ergebnis hat mich bestätigt. Ich war schon sehr weit auf diesem
Weg, bis ich irgendwann begriffen habe, wo er endet. Also habe ich
kehrtgemacht. Aber ich weiß bis heute nicht, ob es richtig war.«
    Â»Wieso?«
    Â»Vielleicht wäre es das Opfer wert gewesen«, antwortete er. »Es ist
die uralte Frage, Conny. Vielleicht darf man ein Leben opfern, um hundert
andere zu retten. Vielleicht muss man es sogar. Vielleicht hatte ich nicht das
Recht, dieses Geschenk zurückzuweisen, nur um mich zu retten.«
    Â»Jetzt reden Sie Unsinn«, erwiderte Conny. »Was für ein Geschenk
soll das sein?«
    Â»Das Unheil zu verhüten«, antwortete Trausch ernst. »Wie viele
Verbrechen hätte ich wohl verhindert, hätte ich so weitergemacht? Was meinen
Sie – wie viele Morde würden nicht geschehen, wären wir nicht an ebenjene
Gesetze und Regeln gebunden, die unsere Konkurrenz mit Füßen tritt? Wie viele
Kinder wären nicht drogenabhängig, würden wir uns die Dreckskerle

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