Unheil
»Und dem Rest unserer Kollegen.«
Conny blickte ihn leicht erschrocken an. »So schlimm?«
»Schlimmer«, antwortete er ernst.
»Dann hat Eichholz ganze Arbeit geleistet«, vermutete sie.
»Sie haben es ihm auch ziemlich leicht gemacht«, seufzte Trausch.
»Ich?«, entfuhr es Conny. »Was zum Teufel habe ich getan â auÃer
meine Arbeit?«
»Ihre Arbeit?« Trausch seufze. Seine Worte klangen vorwurfsvoll,
seine Stimme nicht. »Wo leben Sie, Conny? Haben Sie auch nur eine Sekunde lang
versucht, sich in seine Lage zu versetzen?«
»In Eichholzâ Lage?« Conny lachte. »Ganz bestimmt nicht! Warum
sollte ich?«
»Weil Sie dann vielleicht verstehen würden, wie die Sache für ihn
aussieht«, antwortete er ernst.»Alles, was Sie in den letzten Tagen getan
haben. Alles, was passiert ist.«
»Was ist denn passiert?«, fauchte sie,
»Ihrer Meinung nach?«
Trausch ignorierte den zweiten Teil ihrer Frage. »Ich kann Ihnen
sagen, wie es für Eichholz aussieht ⦠und für alle anderen.«
»Auch für Sie?«
Trausch überhörte auch das.
»Sie reden mit einem Zeugen, den auÃer Ihnen niemand gesehen hat.
Sie treffen einen Toten und schwören, mit ihm auf Leben und Tod gekämpft zu
haben, und Sie haben offensichtlich Insider-Informationen und weigern sich,
irgendjemandem zu verraten, woher diese Informationen stammen.«
»Das habe ich, aber niemand glaubt mir«, bestätigte Conny, nur um
mitzuerleben, dass er auch diesen Einwurf nicht zur Kenntnis nahm. Immerhin war
er lernfähig, dachte sie wütend. Das hätte glatt von Eichholz stammen können.
»Ich glaube Ihnen, Conny. Ich glaube Ihnen, dass Sie in bester
Absicht gehandelt haben und überzeugt davon sind, die Wahrheit zu sagen. Ich
fürchte allerdings, ich bin mittlerweile der Einzige.« Er zögerte unmerklich.
»Ich will Sie nicht erschrecken, Conny, aber ich habe mich für Sie
starkgemacht. Wenn ich mich nicht für Sie verbürgt hätte, dann hätte Eichholz
Sie in Untersuchungshaft genommen.«
»Für mich verbürgt«, wiederholte Conny. »Das war leichtsinnig von
Ihnen. Wo doch immerhin die Möglichkeit besteht, dass ich verrückt bin.«
»Verrückt?« Trausch lachte, sah sie mit schräg gehaltenem Kopf an
und griff nach seinem Weinglas, um einen â diesmal groÃen â Schluck zu nehmen.
Dann schüttelte er den Kopf, »Nein«, sagte er lächelnd. »Sie sind
möglicherweise eine Menge, Conny, aber verrückt gehört ganz bestimmt nicht dazu.«
»Und was gehört dazu?«, fragte sie.
Auch dazu sagte er nichts, sondern sah sie nur noch einmal auf
dieselbe, sonderbare Weise an, bevor er sein Weinglas endgültig leerte, es mit
einer fast zeremoniell anmutenden Bewegung auf den Tisch zurückstellte und dann
aufstand.
»Mitternacht ist vorbei«, bekannte er nach einem Blick auf die Uhr
und veränderter Stimme. »Es war ein anstrengender Tag für uns beide. Und unsere
beiden Wachhunde drauÃen haben auch ein Anrecht auf ein paar Stunden Schlaf im
Dienst, finde ich.«
Conny verstand. Sie erhob sich ebenfalls, zögerte aber, sich
umzudrehen und in das angebliche Gästezimmer zu gehen. Die Schatten flüsterten
ihr düstere, verlockende Dinge zu, doch dahinter, tief im Reich der Nacht und
der Finsternis, lauerte die Angst, und noch etwas anderes, GroÃes, das
raschelnd seine Flügel zusammenfaltete und sie aus unsichtbaren Augen voller
gewaltiger Bosheit anstarrte.
»Und Sie?«, fragte sie.
Trausch machte eine vage Geste hinter sich. »Ich mache es mir auf
der Couch gemütlich. Nur kein schlechtes Gewissen. Ich schlafe oft hier.«
»Ich habe kein schlechtes Gewissen«, antwortete Conny. »Aber wozu
die Umstände? In meinem Bett ist Platz genug für zwei.«
Kapitel 19
Gestern
Abend war es ihr nicht aufgefallen, aber das Zimmer verfügte über ein ganz
ähnliches â wenn auch deutlich kleineres â schräges Dachfenster wie das Studio,
in dem sie gegessen hatten, und das Bett war dergestalt nach Osten
ausgerichtet, dass die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihr Gesicht
berührten und sie wach kitzelten. Trausch, dachte sie missmutig und noch träge
von dem noch nicht ganz vollzogenen Wechsel zwischen Schlaf und Wachsein,
musste ein heimlicher Sonnenanbeter sein; oder er misstraute seinem
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