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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Knie hoch
und kroch mit zusammengebissenen Zähnen zum Rand des Lochs. Das Licht wurde
heller, und jetzt meinte sie auch wieder Geräusche zu vernehmen: rennende
Schritte und ein hastiges Schleifen und Trappeln und eine schrille Stimme, die
in einer ihr unbekannten Sprache immer wieder dasselbe Wort schrie.
Sirenengeheul, das sonderbarerweise noch immer nicht wirklich näher gekommen zu
sein schien. Dann erreichte sie ihr Ziel und schob sich behutsam über die
morschen Bretter weit genug vor, um nach unten sehen zu können.
    Wie sie erwartet hatte, befand sie sich unmittelbar über der
Tanzfläche des vorderen, größeren Saals. Aislers Nachfolger lag zehn oder zwölf
Meter unter ihr auf dem Bauch. Seine Glieder waren verdreht und gebrochen, und
unter ihm breitete sich eine Blutlache aus. Ein angemessenes Ende, fand Conny.
    Ihr Bein pochte wieder spürbar. Blut lief warm und klebrig an ihrer
Wade hinab, und plötzlich waren auch Schwäche und Übelkeit wieder da, wenn auch
nicht in dem Maße, das sie erwartet hätte. Eine Frau in einem hellblauen Kittel
kam unter ihr herangelaufen, sah den zerschmetterten Leichnam auf der
Tanzfläche und blieb wie angewurzelt stehen. Zwei oder drei Herzschläge lang
starrte sie ihn einfach nur an, dann flog ihr Kopf mit einem Ruck in den
Nacken, und ihre Augen wurden groß, als sich Connys und ihre Blicke trafen. In
der nächsten Sekunde ergriff sie mit einem spitzen Schrei und wehendem Kittel
die Flucht.
    Conny dachte nicht darüber nach, welchen Anblick sie bieten musste,
um eine solche Reaktion hervorzurufen, sondern kroch behutsam zurück und
versuchte sich aufzurichten. Das Sirenengeheul war noch immer entfernt, aber es kam näher, und vielleicht war es besser, wenn sie
wenigstens versuchte , Eichholz lange genug am Leben
zu halten, bis ihre Kollegen hier waren und er ihnen alle ihre Fragen
beantwortet hatte.
    Zu ihrer eigenen Überraschung gelang es ihr, aufzustehen und mit
zusammengebissenen Zähnen zur Box zurückzuhumpeln. Sie zog eine Blutspur hinter
sich her, aber sie war dünner als erwartet, und auch die Schmerzen waren nicht
so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Anscheinend hatte die Klaue sie doch
nicht so schlimm erwischt, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Ganz
flüchtig dachte sie daran, ihre Waffe zu suchen, verwarf diesen Gedanken jedoch
augenblicklich wieder. Sie brauchte sie nicht mehr.
    Mike und der andere Junge bedachten sie mit hasserfüllten Blicken,
als sie wieder in den winzigen Raum hinter der Kartonwand trat. Eichholz lehnte
an der Wand, saß mit geschlossenen Augen da. Sein Mantel hatte sich dunkelrot
gefärbt und klebte in nassen, schweren Falten an seinem Körper. Er war so
blass, dass sie überzeugt war, ihn nur noch tot vorzufinden, aber als sie neben
ihm niederkniete, sah sie, dass sich seine Brust in schwachen, wenn auch
hektischen Stößen bewegte. Sie erkannte allerdings auch, dass jeder einzelne
Herzschlag einen weiteren, erschreckend hellen Schwall zwischen seinen Fingern
hindurchpumpte, die er noch immer gegen die Schulter geschlagen hatte, ohne den
warmen Strom, in dem das Leben aus ihm herausfloss, aufhalten zu können.
    Conny legte die Hand auf seine Finger. Sie konnte spüren, wie sein
Herz raste, und sein Blut fühlte sich warm und lebendig und auf so schrecklich
vertraute Weise gut an, dass sie um ein Haar
erschrocken zurückgeprallt wäre.
    Stattdessen verstärkte sie den Druck auf seine Hand jedoch noch
einmal. Eichholz stöhnte leise vor Schmerz, und Conny drückte noch fester zu,
und das Wunder geschah: Der Blutstrom wurde schwächer, versiegte nach kaum
einem Dutzend weiterer Herzschläge ganz, und sie konnte spüren, wie sich sein
Puls allmählich beruhigte. Nach einer weiteren Sekunde öffnete er die Augen und
sah sie an.
    Â»Wie zum Teufel haben Sie das gemacht?«, fragte er röchelnd.
    Conny lächelte aufmunternd. »Sie wissen doch, dass ich eine Hexe
bin.«
    Die Worte hatten scherzhaft klingen sollen, taten es jedoch nicht.
Conny verspürte ein rasches, eiskaltes Frösteln, und in Eichholz’ Augen flammte
abgrundtiefes Erschrecken auf. Doch dann zwang er sich zu einem gequälten
Lächeln, versuchte sich weiter aufzusetzen und sank mit einem schmerzerfüllten
Japsen wieder zurück, als Conny ihn mit einer entsprechenden Bewegung daran
hinderte und zugleich seine Hand noch einmal fester auf die

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