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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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traf sie mit solcher Wucht, dass sie eine geschlagene Sekunde lang
erstarrte und auf die stöhnende Gestalt hinabsah. Aislers Gesicht war ein
ganzes Stück zur Seite gerutscht. Da, wo der Pistolenlauf die längst in
Verwesung übergegangene Haut getroffen hatte, war sie zerrissen und befand sich
in wässriger Auflösung. Es war nicht mehr als eine – grausige – Maske. Der
lähmende Schrecken, den allein seine Anwesenheit ausgelöst hatte, war wie
weggeblasen. Sie empfand nur noch Ekel.
    Trotzdem blieb sie vorsichtig. Dieser Kerl mochte kein lebender
Toter sein, aber er hatte zur Genüge bewiesen, wie gefährlich er war. Als er
sich stöhnend weiter aufzusetzen versuchte, schleuderte Conny ihn mit einem
Fußtritt erneut zurück, blockierte mit dem linken Fuß seine Krallenhand und
rammte ihm das andere Knie gegen die Brust, um ihn an den Boden zu nageln.
Aisler ächzte vor Schmerz, und Conny wechselte ihre Pistole von der rechten in
die linke Hand, kämpfte das immer stärker werdende Ekelgefühl nieder und griff
mit der anderen nach seinem Totengesicht.
    Es löste sich mit einem widerwärtigen, saugenden Laut, und darunter
kam ein anderes, kaum weniger bleiches Gesicht zum Vorschein. Es war mit Blut
und anderen, schlimmeren Klebrigkeiten besudelt und vor Schmerz und Angst
verzerrt, aber es war das Gesicht eines Lebenden, nicht das eines Toten.
    Das hielt sie in der Hand.
    Conny schluckte die bittere Galle herunter, die sich schon wieder
unter ihrer Zunge zu sammeln begann, und zwang sich, die grausige Trophäe
genauer anzusehen, die sie in der rechten Hand hielt. Es war nicht einfach nur
eine Maske, sondern tatsächlich Aislers Haut, die der Kerl offensichtlich mit einem
Skalpell entfernt und wie eine Maske über sein eigenes Fleisch gestülpt hatte.
    Der Junge unter ihr versuchte sich loszureißen, doch seine
Bewegungen waren schwächlich. Conny ließ die grässliche Totenmaske fallen,
steckte die Pistole ein und zwang ihn mit der frei gewordenen Hand, sie
anzusehen. Es war schwer, ihn wirklich zu erkennen. Sein Gesicht war besudelt
und blutig und begann da, wo ihn der Pistolenlauf getroffen hatte, bereits
anzuschwellen. Trotzdem sah Conny, dass auch er nicht sehr viel älter sein
konnte als Mike und die anderen, siebzehn, allerhöchstens achtzehn; ein Kind,
das sich in den Körper eines Erwachsenen verirrt hatte. Plötzlich empfand sie
tatsächlich so etwas wie Mitleid, aber auch Empörung. Und Zorn, einen immer
stärker werdenden, rasenden Zorn, der weniger der erbärmlichen wimmenden
Gestalt unter ihr galt, sondern der bloßen Tatsache, dass so etwas geschehen
konnte.
    Und mit einem Mal begriff sie, dass Trausch unrecht gehabt hatte. Es
war falsch gewesen, auf halbem Wege kehrtzumachen. Er hätte weitermachen und
selbst zu seiner persönlichen Ausgabe von Vlad werden sollen, ganz gleich,
welchen Preis er dafür bezahlt hätte. Er hatte ihn ja doch bezahlt, letzten
Endes, aber hätte er weitergemacht, dann wäre es ihm vielleicht gelungen, zu
verhindern, dass Kreaturen wie Aisler ihre böse Saat verbreiteten und aus
unschuldigen Kindern so etwas machten. Ihr würde dieser Fehler nicht passieren. Vlad hatte ihr den
Weg gewiesen, und sie würde ihn zu Ende gehen.
    Conny zog die Pistole wieder heraus, setzte die Mündung auf die
Stirn des Jungen und zog den Hahn zurück. Seine Augen weiteten sich vor
Entsetzen, und ein neuer, widerlicher Geruch hüllte sie ein, als er sich vor
Angst besudelte.
    Eine Sekunde verging, dann noch eine, und dann ließ Conny den Hahn
behutsam wieder zurückschnappen, steckte die Waffe ein und schüttelte den Kopf.
    Â»Nein, mein Junge«, machte sie verächtlich. »So leicht mache ich es
dir nicht.«
    Sie stand auf, Aisler ließ sich mit einem erleichterten Seufzen
zurücksinken und stieß ihr aus der gleichen Bewegung heraus die Spitzen seiner
Eisenklaue ins Bein.
    Der Schmerz explodierte wie eine weißglühende Lohe in ihrem
Unterschenkel, grub sich mit grausamer Langsamkeit nach oben, wobei er jeden
einzelnen Nerv auf seinem Weg in Brand setzte, und setzte ihre Hüfte in
Flammen. Conny schrie auf und kippte zur Seite, und der falsche Aisler rollte
sich auf die Knie und schlug nach ihrem Gesicht. Conny warf instinktiv den Kopf
herum, sodass die eisernen Zinken, auf denen nun ihr eigenes Blut glitzerte,
ihr Ziel verfehlten und sich knirschend in die morschen

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