Unheil
Wunde presste.
»Sie bewegen sich besser nicht«, empfahl sie. »Die Kollegen sind
gleich hier, und dann rufen wir einen Krankenwagen. Keine Sorge. Wir kriegen
Sie schon wieder hin. Sie werden sehen, spätestens in ein paar Tagen sind Sie
wieder das alte Ekel, das wir alle kennen.«
Eichholz lächelte dünn, obwohl seine Lippen vor Schmerz zuckten.
Nach einer Sekunde verschwand auch das angedeutete Lächeln von seinem Gesicht.
»Was ist mit ⦠Aisler?«, fragte er mühsam.
»Er ist tot«, antwortete Conny. »Jetzt endgültig.«
»Das ist nicht wahr!«, begehrte Mike auf. »Du lügst, du Schlampe!
Der Meister kann nicht sterben.«
Conny machte sich nicht einmal die Mühe, ihn anzusehen. »Und es war
auch nicht Aisler«, fuhr sie in unverändertem Tonfall fort. »Nur ein
Wahnsinniger, der sich für ihn ausgegeben hat.«
»Das ist nicht wahr!«, heulte Mike. »Der Meister kann nicht sterben!
Aber er wird dich umbringen, wartâs nur ab!«
»Sei bitte still, Michael«, presste Eichholz zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor. »Du machst es nur schlimmer.«
»Sie lügt!«, kreischte Mike. »Der Meister wird zurückkommen, und
dann wird er sie umbringen, und er wird uns rausholen, und â¦Â«
Conny stand auf, ging ruhig zu ihm und versetzte ihm eine schallende
Ohrfeige. Mike verstummte mit einem schrillen Quietschen, hob die ungefesselte
Hand an die Wange und begann zu wimmern. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Das ⦠das darfst du gar nicht!«, stammelte er. »Du ⦠du darfst mich
nicht schlagen! Dafür zeig ich dich an! Das kostet dich deinen Job, hörst du?
Ich â¦Â«
Conny versetzte ihm eine zweite Ohrfeige â der Symmetrie halber nun
wirklich auf die andere Wange â und Mike hörte endlich auf, sinnlose Drohungen
auszustoÃen, und verwandte seine verbliebene Energie stattdessen darauf,
loszuheulen. Conny kehrte zu Eichholz zurück und lieà sich wieder in die Hocke
sinken. Ihr Bein tat immer noch weh, wenn auch nicht mehr annähernd so schlimm
wie am Anfang, und sie streckte es aus und versuchte ihre zerrissenen Jeans
weit genug nach oben zu ziehen, um ihre Wade zu betrachten.
»Sie sind verletzt«, stellte Eichholz fest.
»Das ist nichts«, behauptete sie. »Nur ein Kratzer.«
Zu ihrer eigenen Ãberraschung entsprach das fast der Wahrheit. Was
sich angefühlt hatte, als hätte weiÃglühendes Eisen ihr Bein durchbohrt,
entpuppte sich als drei beinahe schon harmlos aussehende, bereits mit
eingetrocknetem Blut verkrustete Schnittwunden.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte Eichholz. »Wenn ich gewusst hätte,
was â¦Â«
»Schon gut«, unterbrach ihn Conny. »Für eine Weile habe ich ja
selbst an meinem Verstand gezweifelt.« Eichholz musste spüren, dass sie es
ernst meinte, denn sein Blick wurde auf sonderbare Weise weich, und er streckte
die Hand nach ihr aus, wie um sie tröstend zu berühren, besann sich zu Connys
Erleichterung dann aber eines Besseren und presste die Finger wieder auf die
Schulter. Von seiner blutigen Hand berührt zu werden, wäre vielleicht mehr
gewesen, als sie ertrug; wenn auch aus einem anderen Grund, als er sich
vorstellen konnte.
»Dafür wirst du bezahlen«, heulte Mike hinter ihr. »Wenn der Meister
zurückkommt, dann wirst du darum betteln, dass er dich tötet. Aber so leicht wird
er es dir nicht machen, verlass dich drauf!«
Conny sann ernsthaft darüber nach, dass er mit einer geschwollenen
Lippe vermutlich nicht mehr so groÃe Reden halten könnte, doch Mikes Kumpan kam
ihr zuvor. »Verdammt noch mal, halt endlich die Schnauze. Es ist vorbei,
begreif das endlich.«
Als Conny sich zu ihm umdrehte, las sie in seinem Blick nichts als
Resignation; ein vielleicht allmähliches Begreifen dessen, was er getan hatte.
Und möglicherweise auch der Konsequenzen, die nun auf ihn zukommen mochten.
Conny sah ihn fragend an, und er nickte in Richtung der Kartonwand neben ihr.
Conny tauschte einen fragenden Blick mit Eichholz, stand auf und
bückte sich nach einem der beiden Messer, die sie den Jungen abgenommen hatte.
Mike folgte jeder ihrer Bewegungen aus hasserfüllten Augen, wagte es jedoch
nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen, geschweige denn etwas zu tun.
Mit dem Messer in der Hand kniete sie vor den Pappkartons
Weitere Kostenlose Bücher