Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
langsamer fort. Es wollte ihm immer noch nicht gelingen, ihrem
Blick standzuhalten. »Und ich werde noch heute meinen Antrag auf Entfernung aus
dem Dienst einreichen, wenn Ihnen das genügt.«
    Diesmal antwortete Conny. »Nein«, sagte sie, zögerte ganz bewusst
einige Sekunden und genoss nun doch das erschrockene Flackern in seinen Augen.
»Meinetwegen müssen Sie das nicht. Ich kann Sie verstehen.«
    Eichholz wirkte nur noch unsicherer. Vermutlich wartete er darauf,
dass sie etwas hinzufügte, um das Messer in der Wunde noch einmal genüsslich
herumzudrehen. Ihr war auch ein bisschen danach, aber sie widerstand der
Verlockung.
    Â»Sie meinen …?«
    Â»Der Junge braucht jetzt Ihre Hilfe«, unterbrach ihn Conny. »Sie
können nichts für ihn tun, wenn Sie zurücktreten oder gar im Gefängnis sitzen.
Es ist vorbei.«
    Eichholz schwieg, aber sein Blick machte ihr klar, dass es nicht vorbei war. Nicht für ihn. Für ihn würde es nie
vorbei sein, und Conny begriff erst im Nachhinein, dass er ihre vermeintliche
Großzügigkeit ganz richtig als das auffasste, was sie eigentlich war: das
genaue Gegenteil. Sich an einem vermeintlichen Feind zu rächen und ihm
denselben Schmerz zuzufügen, den man empfangen hatte, war ein kurzes und allzu
billiges Vergnügen. Doch so lange er lebte, würde kein Tag vergehen, ohne dass
er sich daran erinnerte, wem er dieses Leben, seine Freiheit und die seines
Enkels verdankte. Der Gedanke erfüllte sie mit einer tiefen Zufriedenheit.
    Â»Ich werde mich nicht von Ihnen erpressen lassen«, sagte er, und
seine Stimme war frei von Vorwurf oder gar Empörung. Es war nur eine
Feststellung.
    Â»Das habe ich auch nicht vor«, erwiderte Conny ebenso ruhig. »Sie
können einfach nicht aus Ihrer Haut, wie? Es ist vorbei, und mehr will ich
nicht.«
    Â»Und Sie verlangen … nichts?«, vergewisserte sich Eichholz.
    Conny schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, was Sie mir geben
könnten.« Ohne dass sie es wollte, wurde ihre Stimme bitterer und zugleich
trauriger. »Es sei denn, Sie könnten Trausch wieder zum Leben erwecken.«
    Eichholz sah sie fast eine halbe Minute lang durchdringend an,  wobei sein Blick ihr einen kalten Schauer
über den Rücken laufen ließ. Dann fragte er im selben, rein sachlichen Ton:
»Haben Sie ihn getötet?«
    Â»Warum hätte ich das tun sollen?«, murmelte Conny. Aber tief in
sich, leise und voller Angst vor der Antwort, stellte sie sich dieselbe Frage.
    Â»Gut«, sagte Eichholz. »Dann ist die Sache damit erledigt.« Er
versuchte aufzustehen, verzog wieder schmerzerfüllt die Lippen und sank mit
einem nur noch halb unterdrückten Ächzen zurück. »Nur noch eine Frage, Conny.«
    Sie wusste, wie sie lauten würde. »Ja?«
    Â»Wer ist er?«
    Â»Er?«
    Â»Ihr sonderbarer Freund. Vlad.«
    Â»Ich weiß nicht, von wem sie sprechen«, antwortete Conny.
    Noch einmal warf Eichholz ihr diesen beunruhigenden, wissenden Blick
zu, aber dann quälte er sich endgültig auf die Füße, schlurfte zwei Schritte
zur Tür und öffnete sie unter sichtbarer Anstrengung. Die Mühe wurde ihm
abgenommen, als eine Hand die Tür von außen aufzog und eine andere nach ihm
griff, um ihm beim Aussteigen zu helfen.
    Conny sah ihm müde nach, während er, schwer auf die Schulter des
jungen Arztes gestützt, durch den Regen auf den zweiten Krankenwagen
zutrottete.

Epilog
    Bei Tageslicht, wieder einsam und in die
vornehme Stille gehüllt, die so viele Jahrzehnte lang hier geherrscht hatte, wirkte
das Haus nicht mehr so beeindruckend und luxuriös, wie sie es in Erinnerung
hatte, sondern einfach nur alt; und ein wenig schäbig. Die Schatten waren vor
dem grellen Licht der Mittagssonne geflohen und enthüllten nun ebenso
erbarmungslos die unübersehbaren Anzeichen beginnenden Verfalls, während der
weiße Glutball über ihr in ihre Augen stach; trotz der Sonnenbrille, die sie
trug.
    Der Taxifahrer reichte ihr das Wechselgeld und machte ein erfreutes
Gesicht, als sie den Kopf schüttelte, ohne auch nur hinzusehen. »Soll ich auf
Sie warten?«, fragte er.
    Â»Das wird nicht nötig sein«, antwortete Conny. Sie drehte sich immer
noch nicht zu ihm um, sondern tat so, als würde sie ihre Sonnenbrille
zurechtrücken, nutzte die Bewegung in Wahrheit aber, um ihre Augen zusätzlich
abzuschirmen,

Weitere Kostenlose Bücher