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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Arzt
hatte ihr nur etwas bestätigt, was sie tief in sich bereits mit
unerschütterlicher Sicherheit gewusst hatte.
    Das Blut des Vampirs ist rein.
    Als er die Tür hinter sich schloss, überlegte sie eine Sekunde lang
ernsthaft, ihn zurückzurufen und von ihren sonderbaren Visionen zu erzählen und
der unheimlichen Gestalt, die durch ihre Träume geisterte. Doch sie ließ den
Moment verstreichen, in dem das noch möglich gewesen wäre. Es gab ohnehin nur
zwei denkbare Alternativen: Er schob alles auf den Schock und die Medikamente,
die sie bekommen hatte, oder begann sich wirklich Sorgen
um sie zu machen, mit einem für sie vermutlich unangenehmen Endergebnis.
    Und auf diesem Umweg über mindestens zwanzig Ecken hinweg waren ihre
Gedanken wieder bei Trausch angekommen.
    Sie konnte es selbst nicht vollkommen nachvollziehen, aber ihr
Gespräch mit dem Arzt erinnerte sie nicht nur an Trausch, sondern … berührte etwas in ihr und erfüllte sie mit einer Wärme, die
sie viel zu lange nicht mehr in sich gefühlt hatte.
    Unsinn! , maßregelte sie sich selbst.
Trausch und sie? Das war … lächerlich. Er war annähernd zehn Jahre älter als
sie, zumindest was die offizielle Hierarchie anging so etwas wie ihr
Vorgesetzter und nicht nur seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet, sondern auch
Vater zweier Kinder; vielleicht auch dreier, in diesem Punkt war sie nicht
einmal ganz sicher. Er war nett zu ihr gewesen, doch das war auch schon alles.
Was brachte sie eigentlich auf die Idee, ihn schon als etwas wie einen
potenziellen Liebhaber zu sehen, nur weil er sie nicht ganz so hemmungslos
angefeindet hatte wie alle anderen?
    Sie gab sich die Antwort auf ihre Frage selbst: Hormone.
    Die Erklärung war so überzeugend wie ernüchternd zugleich. Es war
schlichte Chemie, Körper chemie, um genau zu sein.
Absolute Todesangst war so ziemlich das stärkste Aphrodisiakum, das es gab. Sex
und Tod lagen nun einmal sehr nahe beisammen, und was war so außergewöhnlich
daran, dass sich das eine mit Macht zu Wort meldete, wenn man dem anderen um
Haaresbreite entkommen war?
    Es klopfte, Conny ignorierte das Geräusch zunächst absichtlich. Als
es das zweite Mal klopfte, drehte sie sich demonstrativ zur Seite und wandte
der Tür den Rücken zu. Das Klopfen wiederholte sich trotzdem.
    Beim vierten – vielleicht auch schon dem fünften oder sechsten – Mal
drehte sie sich mühsam wieder zur Tür um und rief: »Herein.«
    Sie hatte so leise gesprochen, dass ihre Stimme eigentlich nicht
durch die Tür dringen konnte. Trotzdem ging sie praktisch sofort auf, und Conny
erlebte eine zweite und eindeutig größere Überraschung: Sie hatte mit zwei
möglichen Besuchern gerechnet – Trausch oder Eichholz – aber das Erste, was sie
sah, war ein gewaltiger, kunterbunter Blumenstrauß, der allen Gesetzen der
Schwerkraft zum Trotz zu ihr hereinzuschweben schien.
    Erst einen Moment später sah sie die Beine, die er hatte. Kurze,
stämmige Beine, die in seit mindestens fünfzehn Jahren aus der Mode gekommenen
Schuhen endeten. Ihr Blick wanderte höher und erfasste ein Paar unförmige Knie
und dann schon die Stiele des riesigen Blumenstraußes, der darüber
herumwackelte.
    Â»Ja?«, sagte sie verwirrt.
    Der Blumenstrauß kippte zur Seite und gab ein herzförmiges Gesicht
mit roten Wangen und von Falten umkränzten Augen frei, die sie eindeutig
angsterfüllt anblickten.
    Â»Frau Feisst?«
    Â»Ja?«, antwortete sie, nichts anderes als verwirrt. Wer war diese Frau? Sie war sicher, sie noch nie zuvor gesehen
zu haben.
    Der Blumenstrauß kippte noch weiter zur Seite und zeigte ihr eine
kaum anderthalb Meter große, pummelige Frau in einem altmodischen Kostüm und
mit einer noch viel altmodischeren Frisur. Sie konnte sich beim besten Willen
nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal eine leibhaftige Dauerwelle gesehen
hatte.
    Â»Frau Feisst?«, fragte sie noch einmal. »Ich … bitte entschuldigen
Sie, wenn ich Sie überfalle, aber … also man hat mir gesagt, dass ich Sie hier
finde, und …«
    Â»Ja?«, fragte sie noch einmal, als die Frau nicht weitersprach,
sondern nur immer unbehaglicher von einem Bein auf das andere trat und
plötzlich nichts mehr mit dem Blumenstrauß in ihren Händen anzufangen zu wissen
schien. Sie wirkte sehr … unglücklich.
    Conny stemmte

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