Unheil
Menschen, vielleicht«, widersprach Marianne Schneider. »Aber
dieser Kerl war kein Mensch! Wenn Sie ihn nicht umgebracht hätten, dann hätte
ich es getan!«
»Das habe ich jetzt nicht gehört«, antwortete Conny. »Und ich bin
auch sicher, dass Sie es nicht so gemeint haben.«
Theresas Mutter war klug genug, nicht zu widersprechen, aber ihr
Blick war beredt genug. Sie hatte es so gemeint. Und
das Schlimme war, dass Conny sie nicht nur verstehen konnte; es ging ihr
genauso. Ganz egal, wie sehr sie sich auch selbst vom Gegenteil zu überzeugen
versuchte â sie hatte Aisler töten wollen . Nach dem,
was Trausch ihr erzählt hatte und was das unentwirrbare Durcheinander von
Erinnerungen und Fieberphantasien in ihrem Kopf ihr weiszumachen versuchte,
konnte sie selbst nicht mehr sagen, ob Aisler nun an den Folgen der Kugel
gestorben war, die sie ihm tags zuvor verpasst hatte, oder ob sie ihn
tatsächlich eigenhändig umgebracht hatte. Doch allein die Vorstellung, sie könnte es getan haben, hatte etwas fast Erregendes.
»Ich bin nicht hier, um mit Ihnen über diesen Verbrecher zu reden«,
fuhr die grauhaarige Frau fort, in verändertem Ton und nun wieder fast
verlegen. »Er ist tot, und das ist gut so, aber viel wichtiger ist, dass es
Ihnen und meiner Tochter gut geht. Wenn es irgendetwas gibt, was ich oder mein
Mann für Sie tun können, dann sagen Sie es bitte.«
Conny fiel da auf Anhieb etwas ein. Sie könnte zum Beispiel gehen.
Stattdessen schüttelte sie nur den Kopf. »Ich habe nichts als meine Pflicht
getan. Jeder andere an meiner Stelle hätte dasselbe getan, glauben Sie mir.«
»Sie sind zu bescheiden«, widersprach Theresas Mutter. »Haben Sie
heute schon einmal in die Zeitung gesehen? Oder den Fernseher eingeschaltet?«
Sie streckte die Hand nach der Fernbedienung aus, die auf dem Nachttischchen
lag, aber Conny hielt sie mit einem raschen Kopfschütteln zurück.
»Bitte nicht«, sagte sie. »Ich fürchte, ich muss das noch früh genug
ertragen.«
»Sie sind zu bescheiden«, antwortete ihr
Gegenüber seufzend, zog die Hand jedoch gehorsam wieder zurück. »Wissen Sie,
dass ich Sie mir genau so vorgestellt habe? Das ist seltsam. Aber ich bin auch
froh. Ich hatte ein bisschen Angst, Sie könnten so sein wie Ihr schrecklicher
Kollege.«
»Kommissar Eichholz?«, vermutete Conny.
»Eichholz?« Marianne Schneider dachte einen Moment nach und
schüttelte dann den Kopf. »Nein. Er hieà⦠Trausch, glaube ich.«
»Trausch?«, wiederholte Conny überrascht.
»Ein unmöglicher Mensch. Er hat meinem Mann und mir nichts als
Vorwürfe gemacht. Ich weià ja, dass Theresa ⦠manchmal etwas schwierig sein kann,
aber er hat sich aufgeführt, als wäre sie die
Schuldige an dieser ganzen schrecklichen Geschichte oder gar wir, und nicht
dieser Mörder!«
Conny war verwirrt und auch ein bisschen beunruhigt. Nicht, dass sie
diese seltsame Person allzu ernst nahm, aber sie konnte sich auch nicht
vorstellen, dass alles nur frei erfunden war.
»Ich kenne Kommissar Trausch gut«, sagte sie vorsichtig. »Das ist
eigentlich nicht seine Art.«
»Bei uns schon«, beharrte Theresas Mutter. Dann seufzte sie.
»Eigentlich hat er ja recht, wissen Sie? Ich kenne diese schreckliche Diskothek
nicht, aber das muss ich auch nicht. Ich verstehe nicht, warum sich die jungen
Leute heute so ⦠benehmen .
Conny konnte gerade noch ein Lächeln unterdrücken, als sie
versuchte, sich die biedere Frau im Trash vorzustellen. Wahrscheinlich hätte sie einfach der Schlag getroffen. »Das war
doch schon immer so, oder?«, fragte sie. »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie
nicht gegen Ihre Eltern aufbegehrt haben, als sie in Theresas Alter waren.«
»Selbstverständlich haben wir das«, antwortete Marianne Schneider.
»Wir haben verrückte Kleider getragen und laute Musik gehört und eine Menge
Dinge getan, von denen unsere Eltern nicht begeistert waren, aber doch nicht so .«
»Wegen ihrer Frisur?«, fragte Conny amüsiert.
»Unsinn!«, widersprach die zierliche Frau, in scharfem Ton, trotzdem
auf seltsame Weise fast ⦠mütterlich. Conny ging plötzlich auf, dass sie sich
eigentlich schon die ganze Zeit über so benommen hatte, wenn auch nur unterschwellig ⦠und
sie ganz selbstverständlich in die passende
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