Unheil ueber Oxford
fort. »Aus irgendeinem Grund scheinen sie meine Anweisung nicht verstanden zu haben.«
»Mach ich, Emma.« Sie würde später anrufen und nachforschen, wo es hakte.
»Die Studenten reisen im Lauf des Freitags an, schreiben sich ein und werden in ihre Quartiere gebracht. Beim Einschreiben erhalten sie ihre Begrüßungsmappen mit dem Programm, einer Liste der Tutoren und verschiedenen Vorschlägen für Freizeitgestaltung. Um halb sieben treffen wir uns alle zu einem Glas Wein. Um Viertel nach sieben findet das gemeinsame Abendessen statt. Du solltest dich bemühen, etwas Vernünftiges zu tragen, Kate. Rock oder Kleid, und zwar möglichst überknielang. Vor allem nicht diesen blauen Fummel.«
»Ja, ja«, sagte Kate. »Du klingst genau wie meine Mutter.«
»Ich wusste gar nicht, dass du eine hast«, gab Emma schnippisch zurück. »Habe ich dir eigentlich gesagt, dass ich dich für den Ausflug nach Birmingham vorgesehen habe?«
»Na toll! Herzlichen Dank, liebste Emma. Die anderen dürfen nach Stratford ins Theater, sich den Blenheim Palace von innen anschauen oder einen Ausflug zu den pittoresken Cotswold-Dörfern machen. Nur ich muss in dieses blöde Birmingham! Warum überhaupt?«
»Du begleitest die Studenten in ein Konzert in der Symphony Hall. Ganz große Sache, irgendein weltberühmter Sopran – den Namen habe ich leider vergessen. Du solltest dich freuen.«
»Sollte ich?«
»Ich denke, du interessierst dich für Musik? Im letzten Jahr bist du jedenfalls regelmäßig zu Konzerten gegangen. Das machst du doch immer noch, oder?«
»Nein.« Sie hatte keine Lust, Emma zu erklären, dass ihre Begeisterung eher dem Musiker als der Musik gegolten hatte. Damals hatte sie sich wirklich bemüht, ein paar Bücher gelesen, schwierige CDs angehört und in ihrem Radio einen Klassiksender eingestellt – alles nur, um ihm zu imponieren. Doch nachdem sie herausgefunden hatte, dass der Mistkerl sie betrog, hatte sie die Bücher in die Bibliothek zurückgebracht, die CDs einem Wohltätigkeitsbasar gestiftet und im Radio wieder einen anderen Sender gesucht. Genau genommen war es eine große Erleichterung gewesen, und in ein paar Monaten würde sie bestimmt auch aufhören, von diesem Mann zu träumen und mitten in der Nacht aufzuwachen und festzustellen, dass sie ihn vermisste.
Nachdem Emma aufgelegt hatte, ging sie zurück zu ihrem fiebrigen, ungeduldigen Kind, um ihm noch eine Geschichte vorzulesen. Während sie nach dem Buch suchte, das der Kleine sich gewünscht hatte, überlegte sie, ob sie Kate von den Rückfragen hätte erzählen sollen, die sie ihretwegen erhalten hatte. Doch Kates Reaktion auf den Birmingham-Ausflug hatte sie derart irritiert, dass es ihr einfach entschlüpft war. Die Frau sollte dankbar sein, zu einem wunderbaren Konzert in einer großartigen Halle gehen zu dürfen! Bestimmt würde sie jetzt nicht noch einmal anrufen und ihr alle Einzelheiten erzählen. Falls sie daran dachte, konnte sie ihr ja beim nächsten Treffen Bericht erstatten.
Ein wenig merkwürdig war es allerdings schon gewesen, wenn sie genauer darüber nachdachte. Der Anrufer hatte sich genau erkundigt, wer Kate war, was sie im Bartlemas zu suchen hatte und was sie ansonsten tat. Emma hatte die amüsante Geschichte zum Besten geben können, wie Kate immer wieder seltsamen Geheimnissen auf die Spur kam – fast wie ein Detektiv in einem Kriminalroman. »Sie scheint über Leichen zu stolpern, wo immer sie hingeht«, hatte sie gesagt und sich gleich anschließend gefragt, ob die Bemerkung angesichts des Vorfalls im Bartlemas nicht ein wenig geschmacklos gewesen war. »Außerdem liebt sie es, Fragen zu stellen, ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken und den Verantwortlichen zu finden. Natürlich ist es lächerlich. Wir alle wissen, dass unsere Polizei durchaus in der Lage ist, Kriminalfälle ohne die Hilfe unserer Kate zu lösen. Aber das hört sie nicht gern.« Emma hatte jetzt nicht die Zeit, Kate noch einmal anzurufen, selbst wenn sie es gewollt hätte. Doch wahrscheinlich spielte es sowieso keine Rolle. Jedenfalls hatte sie dem Anrufer Kates Adresse und Telefonnummer nicht gegeben. »Das werden Sie sicher verstehen. Dabei handelt es sich schließlich um ihr Privatleben«, hatte sie gesagt. Allerdings hatte sie erwähnt, dass die entsprechenden Daten im Telefonbuch von Oxford standen.
Sie setzte sich mit ihrem Sohn auf das Sofa. »Grüner Schleim bedeckte den Waldboden …«, las sie.
KAPITEL 5
Die guten Engel
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