Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
oder war es der Schmerz über die verlorene Zukunft, über den Ver lust des bisherigen Lebens und seiner geliebten Lisa? Oder handelte es sich um bloßes Selbstmitleid?
Es dauerte etwa zehn Minuten, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder einigermaßen sprechen konnte. Dann berichtete er, was wirklich passiert war an diesem Nachmittag und was die Tat überhaupt erst ausgelöst hatte. Es sei die pure Bösartigkeit seiner Frau gewesen, die ihn die Kontrolle verlieren ließ. Sie wollte das alleinige Sorgerecht für Lisa. Immer wieder habe es diesbezüglich Streit gegeben, auch gestern. Er sei außer sich vor Wut gewesen und habe sie angebrüllt, er sei schließlich der Vater und es gebe Gesetze. Daraufhin habe sie hämisch gelächelt und ganz ruhig gesagt:
»Du wirst Lisa nicht mehr sehen. Väter, die im Verdacht stehen, ihre Töchter sexuell missbraucht zu haben, bekommen weder ein Umgangsrecht noch ein Besuchsrecht.«
Da habe er sie getötet.
Es herrschte minutenlange Stille im Vernehmungs raum. Peter L. schluchzte noch einige Male und beruhigte sich nur langsam. Ich redete beruhigend auf ihn ein und gab ihm zu verstehen, dass so etwas eine Affekttat erklären könne und ich die Sache ungeheuerlich fände. Was auch meiner ehrlichen Meinung entsprach. Dann schilderte er zögerlich, dass es plötzlich wie in einem Film vor seinen Augen abgelaufen sei. Er habe einen Hammer genommen und damit seiner Frau auf den Kopf geschlagen, bis sie zusammenbrach – was dann passierte, wisse er nicht mehr genau. Erst als sie leblos vor ihm lag, sei er wieder zu Bewusstsein gekommen und in Panik geraten, habe nur noch an Lisa gedacht. Was sollte aus ihr werden? Mutter tot und Vater im Gefängnis? Abschiebung in ein Heim? Das wollte er ihr er sparen. Deshalb habe er in der Folge einen Einbruch vorgetäuscht, wobei ihm die Handygeschäfte seiner Frau geeignet erschienen, den Verdacht in diese Richtung zu lenken. Seine blutbefleckte Kleidung, den Hammer, die angebliche Diebesbeute, die Handys seiner Frau, Bargeld und einige Schmuckstücke habe er im Wald unter einigen quer liegenden Baum stämmen versteckt. Dabei sei er abgerutscht und habe sich das Schienbein aufgescheuert.
Eine Kollegin nahm sofort Kontakt mit der Kinderpsychologin auf, die gerade dabei war, Lisa zu befragen. Zwei Stunden später rief sie zurück und erklärte, es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Lisa sexuell missbraucht worden sei. Im Gegenteil, Lisa liebe ihren Papa über alles, mehr sogar als ihre Mama. Jetzt empfand ich fast so etwas wie Mitleid mit Peter L. Ich glaubte ihm. Es wäre nicht der erste Fall, bei dem gemeine Unterstel lungen, schwere Provokationen oder demütigende Äußerungen eine tief greifende Bewusstseinsstörung auslösten.
Dass Peter L. seine Tochter sexuell missbraucht haben könnte, daran hatte ich auch ohne sachverständige Einschätzung keinen Augenblick geglaubt. Insgesamt schienen seine Einlassungen schlüssig zu sein. Eine spontane Tat bedingt immer einen spontanen Auslöser. In diesem Fall eine ungeheuerliche Drohung.
Am Nachmittag lag das schriftliche Geständnis protokolliert vor. Der Staatsanwalt beantragte Haft befehl wegen Totschlags im Affekt, und der Ermittlungsrichter erließ ihn so. Damit, so dachte ich, sei der Fall wohl weitgehend geklärt. Blieb lediglich die Feinarbeit. Die Abgründe, die sich noch auftun sollten, führten mir deutlich vor Augen, dass man sich gerade als Ermittler nicht nur auf seine Menschenkenntnis verlassen durfte.
Peter L. schien tatsächlich erleichtert zu sein. Als der Tross von Kolleginnen und Kollegen mit ihm zu dem Waldstück im Perlacher Forst ausrückte, mach te er einen relativ gelösten Eindruck. Vielleicht lag es auch daran, dass er erfahren hatte, wo sich Lisa aufhielt und dass es ihr gut ging. Ich hörte sogar, wie er einmal kurz auflachte. Insgesamt war ich zufrieden mit dem Gang der Ermittlungen. Dass das Geständnis von Peter L. auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft werden musste, stufte ich eher als Routine ein. Selbstverständlich in dem Wissen, dass uns wenige Täter die reine Wahrheit servierten. Von den meisten ist nur eine sehr subjektive Wahrheit zu erwarten. Jeder Beschuldigte hat das Recht, seine Sicht der Dinge vorzubringen. Insofern liegen Beschönigungen, Relativierungen, Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen in der Natur der Sache. Es ist Aufgabe der Ermittler, die Wahrheit von der Lüge zu trennen.
Während das Ermittlerteam unterwegs war,
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