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Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Titel: Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Wilfling
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eindringlich und schaute ihm dabei direkt in die Augen.
    Er blickte mich an und nickte stumm.
    »Das waren Sie, Herr G., oder?«, fragte ich ihn.
    Er schaute mir seinerseits ins Gesicht, antwortete nicht, widersprach allerdings auch nicht.
    »Sie sind doch kein eiskalter Mörder, Herr G.«, fuhr ich fort.
    Er begann hemmungslos zu weinen. »Ja, ich war’s«, gab er mit leiser Stimme zu und weinte sogleich noch heftiger, es schüttelte ihn regelrecht. Dadurch wachte der Junge auf und kam verschlafen und verstört ins Wohnzimmer. Mein Kollege nahm ihn zur Seite, ging mit ihm in die Küche und redete dort behutsam auf ihn ein. Kurz darauf hörte man auch Manuel weinen. Der Vater flehte mich an, ihn zu seinem Sohn zu lassen, was ich ihm versprach, sobald sich der Bub etwas beruhigt hätte. Dann erklärte ich ihm, ihn zunächst pflichtgemäß über seine Rechte belehren zu müssen. Ich wüsste, dass das in diesem Moment merkwürdig klinge, aber so seien nun einmal die Vorschriften. Dann könne er selbstverständlich seinen Sohn sprechen. Ich informierte ihn also über sein Recht, die Aussage verweigern und einen Anwalt verständigen zu können. Er schüttelte den Kopf und signalisierte, dass er reden wolle, einen Anwalt brauche er nicht. Um wirklich sicher zu gehen, dass wir tatsächlich Karin G.s Mörder gefunden hatten, stellte ich ihm noch zwei Fragen.
    »Wie haben Sie Ihre Frau getötet?«
    »Mit einem Messer, das dort lag«, antwortete er leise.
    »Und wie oft haben Sie zugestochen und wo hin?«
    »Nur ein einziges Mal, ich habe ihr nur ein einziges Mal in den Rücken gestochen. Mein Gott, das wollte ich doch nicht.«
    Damit wusste ich endgültig, dass er die Wahrheit sagte.
    Es war eine herzzerreißende Szene, als er sich von seinem Sohn verabschiedete. Der Junge hatte die Nachricht vom Tod seiner Mutter und die Tatsache, dass sie vom Vater getötet worden war, relativ ge fasst aufgenommen. Es war klar, dass der arme kleine Kerl das Schlimmste noch vor sich hatte, und es würde sicher nicht spurlos an ihm vorübergehen. Wir ließen deshalb einen Kollegen kommen, dessen Ehefrau Kinderpsychologin war und der ihn mit zu sich und seinen drei Kindern nach Hause nahm. Eine bessere Betreuung hätte er nicht bekommen können, bis das Jugendamt eine Entscheidung getroffen haben würde.
    Auf dem Weg zur Dienststelle zeigte uns der Festgenommene den Gully, in den er das Messer geworfen hatte. Noch in der Nacht ließen wir es durch die Feuerwehr bergen. Was ihn betraf, so wollte er sich diese ungeheure Last in allen Einzelheiten von der Seele reden – es sollte die ganze Nacht dauern. Es war sein Recht zu reden und unsere Pflicht, zuzuhören und zu protokollieren.
    Obwohl die Tat geklärt war, stand noch die Vernehmung des Liebhabers aus. Unser Portier suchte ihn tatsächlich aus der Verbrecherkartei heraus. Es war ein amtsbekannter Gigolo, vielfach vorbestraft wegen zahlreicher Delikte, verwurzelt in der Rotlichtszene, nunmehr Mitinhaber einer Diskothek für »über 30 -Jährige«. Dort, in einem Lokal im Süden Münchens, wird romantische Schlagermusik gespielt. Hauptsächlich Frauen mittleren Alters ver suchen dort, sich ihre Einsamkeit zu vertreiben und vielleicht doch noch einen unverheirateten Mann zu finden, der nicht nur Sex will. Wie sich jedoch eine schöne, intelligente und gepflegte Frau wie Karin G. in einen derart schmierigen Typen verlieben konnte und warum sie sich so herzlos gegenüber ihrem Mann zeigte, konnte ich damals nicht verstehen und verstehe es noch heute nicht.
    M anfred. G. wurde wegen Totschlags zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass der Mann nicht aus Eifersucht – ein Mordmerkmal – handelte, sondern im Affekt. Das bedeutet, dass im Augenblick der Tat eine tief greifende Bewusstseinsstörung vorlag. Ausgelöst durch die Bemerkung seiner Frau, er sei nicht der Vater seines Sohnes, sah er sich sozusagen zur Tat gedrängt. Da ein massiver Streit vorausgegangen war, erkannte das Gericht, sei seine Frau auch nicht arg los gewesen, als sie ihm den Rücken zuwandte, habe vielmehr damit rechnen müssen, dass die Sa che es kalieren könnte. Das Mordmerkmal der Heimtücke wurde aus diesem Grund als nicht erfüllt angesehen.
    Manuel kam in ein Heim, in dem er sich wohlfühlte und trotz der Probleme prächtig entwickelte. Ich besuchte ihn dort einige Male, und es freute mich besonders, dass er Kontakt zu seinem Vater hielt. Manfred G. war tatsächlich nicht sein

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