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Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Titel: Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Wilfling
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Stunden nach der Tat, gereinigt. Das Zimmermädchen, eine Asylantin, arbeitete nur stundenweise hier und kam erst abends nach ihrer regulären Beschäftigung. Als die junge Irakerin das Zimmer betrat und die tote Frau auf dem blutdurchtränkten Bett sah, rannte sie Hals über Kopf nach unten, informierte den Portier und verließ fluchtartig das Haus. Sie wollte keinesfalls mit der Polizei zu tun haben. Wir machten sie später ausfindig, vernahmen sie und wollten darüber hinaus nichts von ihr wissen.
    Das Bild, das sich uns bot, deutete auf einen sogenannten Prostituiertenmord hin: ein Stundenhotel, Bahnhofsgegend, eine schöne Frau in Reiz wäsche, ein einziger Messerstich. Keine Beziehungstat, wie es aussah, denn dabei entladen sich gewöhnlich Hass und Zorn, und Täter oder Täterinnen geraten nicht selten in eine Art Blutrausch, massakrieren ihre Opfer regelrecht. Wobei es immer Ausnahmen gibt, doch nichts deutete darauf hin, dass dieser Fall eine solche darstellte. Zumal bekannt war, dass das Hotel vor wiegend von Prostituierten aus der Bahnhofsge gend frequentiert wurde. Andererseits sind Prostituiertenmorde seit Anfang der 1990 er-Jahre äußerst selten geworden. Vermutlich deshalb, weil sich das Gewerbe weg von der Straße in gut kontrollierte Etablissements verlagert hat.
    Die hinzugezogene Rechtsmedizinerin stellte nur einen einzigen Messerstich neben dem rechten Schulterblatt fest. Da die Frau bei Entdeckung der Tat aber auf dem Rücken lag, musste sie sich nach dem Angriff selbst gedreht ha ben oder umgedreht worden sein. Weil Stiche in den Rücken darauf hindeuten, dass das Opfer arg- und wehrlos gewesen sein könnte, stand das Mordmerkmal der Heimtücke im Raum.
    Ein Raubmord schien auszuscheiden. Was wiederum gegen einen Prostituiertenmord sprach, denn bei diesen geht es meist um Geld. Sei es, dass die Täter nicht bezahlen wollen, was gefordert wird, oder dass sie es von Haus aus auf das Geld der Frauen abgesehen haben. Die Handtasche dieses Opfers war hingegen noch da und in ihr die Geldbörse mit mehreren hundert Euro Bargeld. Außerdem fand sich der Personalausweis, was uns die Arbeit sehr erleichterte. Nimmt doch die Identifizierung eines Opfers immer viel kostbare Zeit in Anspruch. Die Tote hieß Karin G., war 42 Jahre alt und wohnte in München-Harlaching. Sie hatte keinerlei Vorstrafen und war – entgegen unserer Vermutung – als Prostituierte nicht registriert. Solche Überraschungen verdeutlichen immer wieder, dass es stets Ausnahmen von der Regel gibt. Niemals sollte man sich auf Klischees oder Vorurteile verlassen wie beispielsweise auf die Annahme, in einem Haus wie diesem würden ausschließlich Prostituierte verkehren.
    So nützlich das sogenannte Bauchgefühl auch sein mag, allein auf Intuition darf man niemals bau en. Die richtige Mischung aus rationaler Überlegung und (Bauch-)Gefühl macht es aus. Da alle Menschen, und ganz besonders Mörder, von Emotionen gesteuert werden, kann die rein verstandesmäßige, streng analytische Herangehensweise ebenso in die Irre führen wie das ausschließliche Vertrauen auf die eigene Intuition. Der Verstand ist dazu da, die Gefühle in der Spur zu halten, und die Gefühle dienen dazu, Verhaltensweisen begreifbar zu machen, die man durch kritische Analyse allein nicht nachvollziehen kann, weil Menschen in der Lage sind, völlig irrational und unlogisch zu handeln.
    Die unverzügliche Befragung des Portiers brachte etwas Licht ins Dunkel. Der Mann aus dem ehemaligen Jugoslawien musste mithilfe eines Dolmet schers vernommen werden, und ich fragte mich, wie er diesen Job eigentlich bewältigen konnte, wenn er kaum Deutsch sprach. Die Pension befand sich in Privatbesitz, wobei der Inhaber weder hier wohnte noch arbeitete. Eigentlich ließ er sich nur zum Kassieren sehen. Es gab keinen Service, keine Küche, nur Automaten auf den Fluren, aus denen man Getränke oder kleinere Snacks ziehen konnte. Der Portier hätte ein Gästebuch führen und die Meldescheine kontrollieren müssen. Natürlich fanden sich keine solchen, da viele Gäste im Voraus bezahlten. Auch unser Opfer, das dem Mann bekannt war, hatte sofort bezahlt. Die Frau sei ein Stammgast gewesen, habe aber nicht wie eine Hure gewirkt und sei auch immer mit demselben Mann zusammen gewesen. Weshalb der Portier davon ausging, dass sie oder er verheiratet sein mussten und sich hier nur zum Schäferstündchen trafen. »Professionelle« kämen nicht immer mit demselben Freier und auch nicht

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