Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
heldenhaft. Ja, ich würde es schaffen und siegreich aus dieser Schlammschlacht hervorgehen. Das Wasser im Fluss Ebro gurgelt in schmutzigem Braun über die Steine. Meine Schuhe sind steinschwer vom Morast. Ich kämpfe mich vorwärts und erreiche triefnass Logrono. Das Pflastertreten durch die Stadt ermüdet und ich sehne mich nach weichem Wald- und Wiesenboden. Ich habe kein Auge für die Schönheiten des alten Städtchens. Ich bin froh, als ich endlich die Stadtmauern hinter mir lasse und einen windgeschützten Platz im Wald finde, mich auf der Isomatte ausstrecke und ein köstliches Mahl, eine Avocado und eine Birne, genieße. Die Hungerzeit ist vorbei.
Ich denke viel an Roswitha, meine Tantralehrerin in Österreich, deren Credo es ist: „Schau Dir alles an, des Schene (das Schöne) und des Schiache (das Hässliche), des Leichte und des Schware (das Schwere). Alles gehört zusammen. Eins ist ohne das andere nicht zu haben.“ Es tröstet mich, daran zu denken. In mein Büchlein schreibe ich, nachdem ich an meinem heutigen Ziel angekommen bin: „30 km gegen den Wind gelaufen von Viana nach Ventosa – und ich hab‘s geschafft!“
Wasser und Wein
Die Herberge in Ventosa ist ein Traum, was einfach ist, nach Viana. Es ist eine Herberge von Pilgern für Pilger. Das fühlt man. Die Herbergseltern sind den Weg schon mehrmals gegangen. Sie wissen, was uns Pilgern gut tut und verwöhnen uns mit Freundlichkeit und liebevollen Gesten. Ich freue mich, Lilly-Marleen und Heinzi, Bertl und Leandro, el Brasilero, wiederzutreffen. Wir beschließen, heute einmal richtig schön Essen zu gehen. Wir finden ein Minilokal, die „Bar Olga“, mit Minihund, was mich freut, weil der sich auf meinem Schoß so wohl fühlt. Der Rotwein fließt und das Essen schmeckt. Es gibt regionale Küche und wir genießen Fisch und Gemüse, knackige Salate und herrliches Weißbrot. Das ist mal eine willkommene Abwechslung zum ewig gleichen Pilgermenü, das es überall auf dem Weg gibt, das aus geschmacklosem, gepresstem Fleisch besteht, ein paar Kartoffeln und vorher einer einfachen Kartoffel- oder Gemüse-Suppe. Wobei nach einem langen Marsch selbst das Pilgermenü schmeckt, wie ein üppiges Mahl daheim bei Muttern.
Wir lachen ausgelassen und erzählen uns die persönlichen Erlebnisse vom Tag. Es scheint, je schwieriger und anstrengender der Weg, desto heiterer und fröhlicher der Abend, desto besser schmeckt der vino tinto.
Mit einem herzlichen „buon camino“ verabschieden mich die Herbergseltern um 7.45 Uhr, was früh, sehr früh ist. Die anderen sind schon alle weg. Das Wecken in den Herbergen wird immer früher. Die meisten Pilger haben Angst, in der nächsten Herberge kein Bett mehr zu bekommen. Diese Sorge habe ich nicht. Erstens bin ich schnell und überhole die Frühaufsteher auf dem Weg und zweitens habe ich ein Abkommen mit Santiago, immer einen Schlafplatz zu bekommen.
Es ist strahlend schönes Wetter, endlich! Mit wenig Wind. Dem Himmel sei Dank! In Najera genehmige ich mir in einer Bar einen Kakao und freu mich über das supersaubere, schöne Klo. Man freut sich über alles hier auf dem Camino. Nichts ist selbstverständlich, alles ein Geschenk.
Ich komme gut voran, bin gut gelaunt und genieße die Sonne, auch wenn es noch kalt ist. Auf den nahe gelegenen Bergen hat es wieder geschneit. Ich kann die Schneeluft riechen und der Schnee glitzert in der Sonne.
Kontrastprogramm
Santo Domingo de la Calzada, eine Kleinstadt in der Region la Rioja, erwartet mich und damit ein ganz besonderer Aufenthalt. El Parador, ein vier Sterne Hotel in spanischem Stil, muss man einfach besucht haben. Das absolute Kontrastprogramm zum Jakobsweg, den Herbergen und den Pilgermenüs. Hermann aus Klagenfurt und Timo aus Nürnberg wollen mit mir dort Tee trinken. Ich befürchte, dass wir in unserer wilden Wanderkluft gar nicht hineingelassen würden, was sich als unrichtig herausstellt. Pilger sind überall auf dem Weg herzlich willkommen, sogar im Parador. Wir werden ebenso höflich und zuvorkommend bedient wie die elegant gekleideten Gäste und wir fühlen uns wunderbar.
Dann besuchen wir die Kathedrale, die ich unbedingt sehen will, wegen eines spätgotischen Hühnerkäfigs, der von einem täglich wechselnden Hühnerpaar bewohnt wird. Dieser Brauch stammt vom Hühnerwunder, einer Legende, die eng mit dem Camino di Santiago verwoben ist: „Eine Wirtstochter näherte sich einem jungen Pilger, der sie keusch und fromm zurückwies. Da wandelte sich
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