Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Herbergen Waschbecken im Freien angebracht, und der Freude darüber, dass es hier Kernseife gibt, mit der ich es tatsächlich schaffe, meine Wanderhose richtig sauber zu bekommen, setze ich mich im Garten in die Sonne. Es ist der achte Mai und in der Sonne, windgeschützt am Haus, ist es warm. Ein Jakobswegtag mit Muße und Hunger. Ich habe heute noch nichts gegessen und im Dorf sind die Läden noch zu. Es gibt Wasser und den letzten Traubenzucker. Ich schaue mir die weitere Tour im Wanderführer an, das ist ja auch mein einziges „Buch“ zum Lesen und mir wird bewusst, dass ich schon elf Tage gelaufen bin und 330 Kilometer in den Knochen habe. Heute fühle ich mich ein bisschen leer. Oder ist es einfach der Hunger? Denn der Weg heute war sehr schön, mit der Aussicht auf weite Felder, begrenzt von schneebedeckten Bergen.
Ich schlendere durchs Dorf und entdecke einen ganz entzückenden Dorfplatz, der so anheimelnd zwischen alten Häusern und der Kirche liegt, dass mir ganz warm ums Herz wird. Im Laufe des Nachmittags kommen immer mehr Pilger an, unter anderem ein spanischer Pfarrer, der heute Abend in der Kirche auch die Pilgermesse hält. Da will ich natürlich hin und ich bereue es nicht. Es ist verbindend, das „Vaterunser“ zu sprechen. Ich verfolge die spanischen Worte und das Gebet erschließt sich mir auf neue Weise. Der Pfarrer, er heißt César, ein ganz junger, unkomplizierter Mensch, spricht so einfach, dass ich ihn verstehe, obwohl er spanisch predigt. Ich fühle mich angesprochen und nicht mehr so leer, obwohl immer noch hungrig.
Mein Vaterunser
Ich denke über das „Vaterunser“ nach und habe Muße, es zu überdenken und so aufzuschreiben, wie es für mich aus heutiger Sicht, am 8. Mai 2004 auf dem Jakobsweg, stimmt:
„Vater/Mutter unser, der/die Du bist im Himmel -> da Du, Gott überall bist, lautet die Botschaft für mich, dass überall, wo ich es zulasse, Himmel ist (sein könnte).
Geheiligt werde Dein Name -> lass uns Dich und Deine Schöpfung (was eins ist) ehren, achten und schätzen und da wir selbst eine Schöpfung Gottes sind, uns selbst ehren, achten und schätzen.
Dein Reich komme -> Dein Frieden ( der Friede) komme zu uns in die Welt = Dein Friede ist schon in der Welt, wenn wir „aus dem Weg gehen“
Dein Wille geschehe -> Deine Liebe ( die Liebe) werde uns Gesetz.
Wie im Himmel, so auf Erden -> wie oben so unten, wie innen, so außen = wenn wir innen Liebe leben, wird sie außen (auf Erden) sichtbar und lebbar.
Unser tägliches Brot gib uns heute -> gib uns, was wir brauchen = wir haben was wir brauchen.
Und vergib uns unsere Schuld -> hilf uns die Konsequenzen unseres Handelns zu tragen.
Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern -> mit Deiner gütigen Hilfe, oh Herr, hilf uns zu erkennen, dass eh jeder recht hat in seinem Universum und es damit Schuld nicht gibt.
Und führe uns nicht in Versuchung -> Und führe uns in der Versuchung = wenn uns unsere Erfahrungen, die wir machen wollten oder wir glaubten, machen zu müssen, anstrengende Folgen beschert haben, hilf uns wieder auf die Beine.
sondern erlöse uns von dem Bösen -> und erlöse uns von allen Übeln, die wir selbst verursacht haben.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen -> und Dein ist das Alles und das Nichts, so sei es.
Abends gehe ich mit Hermann in einem gemütlichen Restaurant zum Essen. Er redet sich seinen Kummer vom Herzen. Er hat seine Schwester und seinen Bruder kurz hintereinander verloren. Wir weinen zusammen. Die Pilgermesse hat viel bewegt, hat uns durchlässiger gemacht.
Norbär
Am Morgen verabschiedet mich der Herbergsvater Norbert (französisch gesprochen: Norbär) so liebevoll, wie er mich auch gestern aufgenommen hat. Er sagt, ich solle mir mein Lachen bewahren und es auf den Weg bringen.
Heute führt der Camino über die Oca-Berge. Ich gehe alleine, fühle mich fit und laufe über die Höhe, als wäre es nichts. Die landschaftliche Schönheit ist kaum zu übertreffen und die Einsamkeit hier auf dem Gansberg, die ihn früher zum beliebten Räubertreff machte, ist heute noch spürbar. Mein Blick fällt auf die Sierra de la Demanda, deren über 2200 m hohe Gipfel bis weit in den Sommer hinein schneebedeckt sind. Nach dreieinhalb Stunden gönne ich mir eine Pause in den Latschenkiefern. Ich breite meine Isomatte aus und strecke mich darauf aus. Der Duft der Kiefernnadeln ist angenehm und lässt mich an meine bayerischen Berge denken. Das gefällt
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