Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
mir.
Die Pilgerherberge im Original
Erfrischt mache ich mich wieder auf den Weg. Es wird wieder kälter und als ich das Refugio St. Juan de Ortega erreiche, regnet es und der Wind peitscht mir kalt ins Gesicht. Auf diese Herberge, untergebracht in dem mittelalterlichen Kloster San Juan de Ortega, habe ich mich am meisten gefreut. Die Herberge wird im Wanderführer als „unbedingtes Muss, als schönstes Traditions-Hospiz in ehemaligem Kloster, in einsamer Landschaft“ geführt. Der Pfarrer Don José Maria Alonso Marroqui ist bekannt dafür, die Pilger nicht nur geistig in der Pilgermesse zu nähren, sondern danach auch mit Knoblauchsuppe. Heute hat er jedoch eine traurige Botschaft: ein Pilger ist in den Bergen der letzten Etappe vor Schwäche eingeschlafen und wurde am nächsten Tag tot geborgen. Ein beklemmendes Gefühl steigt in mir auf. Er war einer von uns. Ein Mitpilger auf dem Camino. Ich bin traurig, auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte. Vielleicht war ich ihm aber auch schon begegnet auf dem Weg. Wir beten für ihn. Wir sind eine Familie. Ich fühle die Zusammengehörigkeit intensiv wie nie zuvor, seit ich zum Pilgern aufgebrochen bin.
Ich freue mich darauf, mich meiner nassen Kleidung zu entledigen und auf eine Dusche. In mein Tagebüchlein schreibe ich: „Kälteste Herberge auf dem Weg. Es gibt kein warmes Wasser. Mit Todesverachtung kalt, ja eiskalt, geduscht. Die Wände sind schwarz vom Schimmel, die Luft kalt und muffig. Es gibt keine Heizung und keine Decken. Nein, hier kann ich nicht bleiben!“ Hier zu schlafen würde einen Angriff auf meine Gesundheit bedeuten. Ich würde nicht nur vor Kälte nicht in den Schlaf kommen, sondern auch die Pilzsporen einatmen. Das kann nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Lina, Timo und Hermann und noch ein paar Frauen kommen an und wollen auch nicht hier bleiben. Ich rede mit Händen und Füssen mit der Herbergsmutter, ein altes, gebücktes Weiberl, die Haushälterin des Klosters. Der Pilgerpfarrer César hilft mit, ihr zu übersetzen, dass wir ein Pensionszimmer brauchen. Sie ist so lieb, uns eine Bleibe im nahe gelegenen Ort Atapuerca zu organisieren. Es gibt immerhin ein Telefon im Kloster.
Den ganzen Weg wollte ich nur in Herbergen nächtigen. Auf gar keinen Fall in einem Hotel. Das wäre ja dann kein „echtes Pilgern“ meiner Anschauung nach. Ich sehe wohl so niedergeschlagen aus, dass mir César zum Abschied einen Pilgerrosenkranz, mit silbrigen Muscheln besetzt, schenkt. Mir laufen die Tränen übers Gesicht vor Freude, Rührung und Dankbarkeit. Ich nehme es als Zeichen, dass es schon in Ordnung sei, einmal in einer Pension zu übernachten.
Sündigen auf dem Weg
Wir, Lina, Timo, Hermann und ich, bekommen ein Vierbettzimmer. Es ist warm und über der Heizung können wir unsere nassen Klamotten trocknen, die wir mit Shampoo gewaschen haben. Welch ein Luxus! Wir sind außer uns vor Begeisterung über die glatte, weiße, saubere Bettwäsche. Heute bleibt der Schlafsack zusammengerollt im Rucksack, juhuuuu! Und es gibt heißes Wasser und Duschgel. Genuss pur! Wir duschen nacheinander ausgiebig und gehen zum Abendessen hinunter in das kleine Restaurant, das zu unserer Pension gehört. Wenn schon, denn schon! Wir lassen es richtig krachen, jetzt, wo wir uns damit abgefunden haben, zu „sündigen“ und vom „wahren Pilgerpfad“ abgekommen zu sein. Der Wein fließt in Strömen, das Essen grenzt an Völlerei und wir lachen und erzählen uns schmutzige Witze. Der Abend ist einfach der Hit. Vielleicht war dieser „Ausrutscher“ ja ein Geschenk von Santiago? Ich habe es jedenfalls als solches dankbar angenommen.
Herrlich ausgeschlafen und erholt genießen wir das Frühstück ausgiebig. Keine Herbergseltern, die uns rausschmeißen. Himmlische Ruhe. Erst um 11 Uhr brechen wir auf. Timo und ich „normal“ zu Fuß, Lina und Hermann mit dem Taxi. Beide sind lädiert. Da wir nicht wissen, ob wir uns in Burgos wiedersehen, wagen wir nicht, den beiden unsere Rucksäcke mitzugeben. Das wäre dann die Krönung unseres „Ausrutschers“ auf dem Weg.
Das Kreuz als Wegweiser
Irgendwie berührt mich das: Oben auf dem Berg steht ein großes Holzkreuz mit dem typischen gelben Richtungspfeil darauf. Ein interessanter Gedanke drängt sich mir auf: „Das Kreuz als Wegweiser.“ Ich überlege, welche Bedeutung das Kreuz für mich persönlich hat: ist es ein Zeichen des Todes oder ein Zeichen der Hoffnung, der Überwindung des Todes für mich? Timo und ich beten
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