Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
ihre Zuneigung in Zorn und sie versteckte einen Silberbecher in seinem Gepäck. Natürlich wurde der Verlust bemerkt, der Becher bei dem jungen Mann gefunden und der mit kurzem Prozess Verurteilte wurde aufgehängt. Seine Familie pilgerte traurig nach Santiago. Auf dem Rückweg gingen sie wieder an die Richtstatt, wo sie ihr Sohn ansprach, dass er gar nicht tot sei. Santiago habe ihn vor dem Tod bewahrt. Als sie zum Richter eilten und ihm davon berichteten, sagte dieser, dass ihr Sohn so tot sei, wie die beiden gebratenen Hühner auf seinem Teller. Daraufhin flogen die Hühner auf und davon, was den Freispruch und das Abhängen des jungen Mannes und das Aufhängen der Wirtstochter zur Folge hatte.“
Abends essen wir drei in einem kleinen Lokal und sprechen dem süffigen Rioja kräftig zu. In der Herberge beziehen wir ein Zimmer mit sechs Betten, in dem nur maximal vier Betten Platz hätten. Dicht gedrängt liegen wir wie die Ölsardinen, was ich heute Nacht genieße, da mir die Nähe und Wärme von Hermann wohltut. Ich kuschle mich an ihn und denke an die Aussage, man würde nicht nur dem Heiligen Santiago auf dem Weg begegnen, sondern man erlebe auch ein amouröses Abenteuer. Es war allerdings weder amourös, noch ein Abenteuer, es war einfach schön, im Arm gehalten zu werden. Wir genossen es und wussten auch beide, dass es dabei bleiben würde. Faszinierend finde ich, wenn ich daran zurück denke, wie schnell man sich auf dem Weg näher kommt und sich vertraut.
Per aspera ad astra
Nachts muss ich raus zur Toilette und steige im Dunkeln über die Betten und die Rucksäcke und falle der Länge nach hin. „Autsch!“ Das kann ich gar nicht gebrauchen, mir weh zu tun. Es kommt mir vor wie Selbstsabotage, weil ich es mir gestern Abend auf dem Pilgerweg so richtig gut habe gehen lassen. „Pilgern muss anstrengend und herausfordernd sein und nicht leicht und lustig“, geht es mir durch den Kopf. Auf unserem Familienwappen, das von der Ursprungsfamilie meiner Großmutter mütterlicherseits stammt, steht geschrieben: „per aspera ad astra“ (durch das Raue zu den Sternen), was so viel heißt wie: „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“. Diese Einstellung hat mich geprägt. Es war mir schon eigenartig vorgekommen, als mir eine Bekannte aus Linz „viel Spaß“ wünschte für den Weg. Sie war das Jahr zuvor gepilgert und unternahm die Pilgerreise wohl unter anderen Vorzeichen als ich. Ich würde einem Pilger eher gesundes Ankommen und Gottes Segen wünschen. Der offizielle Wunsch, der einem täglich mehrmals entgegengerufen wird ist: „Buon Camino!“ oder ursprünglicher „Ultreya!"
Meine Großmutter hatte mir mit ihrer streng katholischen Erziehung vermittelt, dass Entbehrungen gut fürs Seelenheil seien. Mit einigem Abstand betrachtet, habe ich allerdings meine Meinung geändert. Warum sollte es nur Punkte geben, wenn das Pilgern sich anstrengend und herausfordernd gestaltet? Und überhaupt, wo und bei wem wollte ich punkten? Über diese Betrachtung kann ich inzwischen herzlich lachen. Ich will den Weg noch einmal gehen. Dann aber mit Spaß an der Freud‘ (wie man in Bayern sagt). Das nächste Mal will ich mich mehr dem Weg als dem Ziel widmen, den Moment auskosten, das dankbar genießen, was sich mir in jedem Augenblick anbietet. Diesmal bin ich schnell unterwegs, bedacht aufs Ankommen. Das nächste Mal will ich mir Zeit lassen und Mußestunden einplanen.
Morgenstund‘ hat Blei in den Knochen
Morgens um sieben Uhr schmeißen uns die Klosterschwestern, die diese Herberge betreuen, raus und ich muss hetzen, um meine sieben Sachen zu packen. Das nervt! Ich gehe los mit Hermann und Timo und es gesellt sich noch eine Lina zu uns. Nach einer Weile muss ich jedoch mein eigenes Tempo aufgreifen, sonst werde ich müde. Ich verabschiede mich und laufe los. Ich schreite kräftig aus, das vertreibt die Müdigkeit. Die Wege sind gut, die Luft ist klar und immer noch kalt.
Jakobswegtag mit Muße und Hunger
Ich komme heute schon um 13 Uhr in der nächsten Herberge in Belorado an. So ein freundlicher Empfang tut mir wohl. Die Herberge wird von zwei Franzosen unterhalten, die mir den Rucksack aufs Zimmer tragen und mir anbieten, mir mein Bett auszusuchen. Ich wähle natürlich eines am Fenster und ich komme sogar in den Genuss einer Ecke für mich mit einem Stuhl, auf dem ich meine Sachen ausbreiten kann. Das ist schon Luxus und ich freue mich darüber. Nach der „großen Wäsche“ im Garten, oft sind an den
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