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Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Titel: Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Milde
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Platzangst habe ich schon relativ gut im Griff. Aber ohne Luft würde ich das nicht schaffen. Die Herbergsmutter funkelt mich böse an, als ich sie nach einem anderen Bett in einem Zimmer mit Fenster frage. Soviel ich verstehe will sie mich ganz aus der Herberge schmeißen. Lieber nehme ich, was ich bekommen kann, als nochmal in den Regen hinauszugehen und verdrücke mich schnell in Richtung Treppe, unter der sich ein Pärchen ein Lager für die Nacht eingerichtet hat. Die beiden kenne ich. Jedes Mal, wenn ich ihnen begegne, laufen sie Hand in Hand. Selbst jetzt auf ihrem Lager halten sie Händchen. Ich habe gehört, dass sich auf dem Jakobsweg einiges tut im Beziehungsleben. Es gibt Paare, die sich so nahe kommen, dass sie nichts mehr trennen kann. Ebenso verlieren sich Menschen auf dem Camino. Sie erkennen, dass sie etwas leben, das absolut nicht stimmig für sie ist. Sie beschließen, den zukünftigen Weg und Lebensweg alleine weiter zu gehen. Der Weg bringt gnadenlos ans Licht, was bislang verborgen war unter Alltagspflichten und Gewohnheit.
    Ich klettere auf eines der obersten Betten, nahe an der Tür. Es schwankt bedenklich, aber in eines der unteren Betten will ich nicht, da ich dort noch stärker mit Platzangst zu kämpfen habe. Außerdem hatte ich es schon erlebt wie unangenehm es war, wenn sich jemand über mir hin und her wälzte. Nun hocke ich im Schneidersitz, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, weil gleich über mir die Zimmerdecke hängt, und versuche, mich zu beruhigen. Wozu habe ich all das gelernt, das Umdeuten einer Situation zum Beispiel. Und das mit den Energien, dass gleich und gleich sich anzieht. Und das Spiegelgesetz. Dass mir alles etwas sagen will und nichts zufällig geschieht. Noch maule ich ein wenig vor mich hin, aber nach und nach siegt mein gesunder Menschenverstand. Ich verstehe, dass ich mich durch die Angst in dem Gewitter in eine wütende Stimmung gebracht hatte. Und ich erinnere mich daran, dass ich doch beschützt war und ich ganz schön kleingläubig war in meiner Angst. Kleinlaut danke ich Gott dafür, dass ich heil in der Herberge angekommen bin und auch noch ein Bett bekommen habe. Ich verspreche, „brav“ zu sein und den Abend zu genießen. Ich richte mein Bett mit Isomatte und Schlafsack für die Nacht und klettere von meinem Aussichtsturm ohne Aussicht herunter und suche die Küche.
    Sofort werde ich belohnt für meine Bereitschaft umzudenken und „umzufühlen“. Un Italiano vecchio kocht „una Spaghettata per tutti“. Fantastisch. Der Alte kommt aus Rom und freut sich, dass ich italienisch spreche. Sogar eine Flasche Rotwein hat er organisiert, die er nun mit mir teilen will. La vita é bella! Das Leben ist schön. Die Spaghetti schmecken einfach göttlich und die Unterhaltung ist wie immer multikulti und vielsprachig. Ich übersetze Italienisch in Deutsch und Englisch und je mehr Wein fließt, umso flüssiger fällt meine Übersetzung aus. Gemeinsam spülen wir ab und plaudern und lachen fast bis Mitternacht. Jetzt aber in die Kiste! Morgen geht’s früh weiter. La Befana, die Hexen-Herbergsmutter wirft uns sicher morgen zu nachtschlafender Zeit hinaus.
    Unmutslaute lassen mich erahnen, wie viele Mitpilger ich während meiner Kletterpartie auf das schwankende Stockbett wecke. Ich komme gut oben an und bin froh, mein Bett schon vor dem Essen vorbereitet zu haben. Der Wein und die Einsicht, dass wohl noch niemand hier in dem fensterlosen Zimmer erstickt ist, helfen mit, dass ich gut schlafe, wenn auch zu kurz.
    Wie fast jeden Morgen laufe ich alleine los. Ich bin immer die Letzte, die die Herberge verlässt. Ich bin eben keine Lerche.

Heldenhaft in der Schlammschlacht
    Der Weg will’s heute wirklich wissen. Es hat nachts geschneit. Die Berge vor mir sind weiß und ein eiskalter Wind bläst mir ins Gesicht. Wieder wate ich durch Schlamm und kämpfe mich auf überschwemmten Wegen gegen den Wind vorwärts. Die Schuhe sind von gestern noch nicht trocken. Es fühlt sich an, wie ein Kampf gegen Windmühlen. Wie soll ich das „umdeuten“? Ich bin knatschig und unausgeschlafen. Es gelingt mir nicht zu beten oder zu singen. Ich will granteln. Der Rucksack ist so schwer. Es ist so kalt! Es ist so gemein! Es ist so ungerecht! Was eigentlich? Jetzt muss ich fast lachen, als mir einfällt, dass ich das ganze Spektakel ja freiwillig mitmache und dass es von vorneherein klar war, dass es eine Strapaze werden würde. Es geht mir besser. Ich fühle mich jetzt eher

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