Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Heulen zumute ist. Auf dem Camino kursiert der Spruch: „Wenn du morgens aufwachst und es tut dir nichts weh, bist du tot.“ Inzwischen glaube ich das fast. Aber es ist warm. Ich breite meine Isomatte in einer Wiese aus, abseits des Weges. Ich setze mich in Meditationshaltung hin und beginne mit meiner „Kampfmeditation“. Diese Meditation nenne ich so, weil ich sie einsetze, wenn in mir alles in Aufruhr ist und ich keineswegs in meditativer Stimmung bin. Ich verordne mir dann, mich hinzusetzen und mein Chaos im Kopf zu betrachten. Mit der Zeit hört der Kampf auf, werden die Gedanken leiser und es entstehen Lücken zwischen den Gedanken. Ich weiß, dass da in mir dieser unendliche Raum ist, die Schnittstelle zwischen meinem kleinen, maulenden Selbst und der göttlichen Weisheit, zwischen dem Kleinsein und dem unendlich Großsein. Ich beruhige mich. Ich habe bei einem Lehrer TM, transzendentale Meditation, gelernt und schaffe es mittels dieser mehr und mehr, mich bewusst auszuklinken aus Hektik, Stress und quälenden Gedanken. Es gelingt mir nicht immer. Aber jetzt komme ich bei mir an. Fühle mich erfrischt und wieder bereit, den Weg so zu nehmen, wie er ist.
Um zwölf Uhr mittags komme ich in Sahagun an, was definitiv zu früh ist. Ich finde eine Bar mit einem sauberen Klo, juhuuu, wechsle die Bergschuhe mit den Sandalen und mache mich wieder auf den Weg, die Bergschuhe im Rucksack. Am liebsten würde ich sie wegschmeißen, was ich mich aber noch nicht traue, da noch einige Bergtouren auf mich warten. Außerdem haben sie so eine achtlose Behandlung nicht verdient. Sie haben mich brav den Weg bis hier her getragen.
Ich hole meine Mundharmonika heraus und spiele „muss i denn, muss i denn, zum Städtele hinaus“, das einzige Stück, das ich wirklich gut kann, da ich es fast bei jedem Verlassen einer Stadt oder einem Dorf hier auf dem Weg gespielt habe. Ich komme an einem kleinen Teich vorbei, lehne mich ans Geländer, das diesen umzäunt und dudle auf meiner Mundharmonika herum. Da tauchen überall Frösche auf, setzen sich auf die Seerosenblätter und lauschen meinem „Froschkonzert“. Es ist allerliebst, wie sie die Köpfe recken. Ich muss lachen. Da habe ich doch tatsächlich begeisterte Zuhörer. Ich kann mich schwer von meinen Fans trennen, aber die Sonne brennt mittlerweile gnadenlos auf mich herunter. Einerseits genieße ich es, barfuß in meinen Sandalen gehen zu können, andererseits ist es einfach zu heiß. Das hätte ich mir nie träumen lassen, nach meiner Sehnsucht nachWärme und hellem Sonnenschein. Nun bemerke ich, dass es auch des Guten zu viel sein kann. Ich schleppe mich weiter auf meinem heißen Weg. Am Wegesrand hat man kleine Bäumchen gepflanzt, die wohl in ein paar Jahren hier angenehm Schatten spenden werden. Ich komme noch nicht in diesen Genuss.
Ich komme nach Bercianos del Real Camino, wo ich eine Herberge mitten auf dem Land vorfinde. Mein Weg führt an einem Stall mit einem Misthaufen davor vorbei, der mich an meine Kindheit auf dem Bauernhof erinnert und sofort fühle ich mich wohl und geborgen. Reizende, französische Herbergseltern begrüßen mich herzlich. Auch das fühlt sich an, wie nach Hause kommen. Hier gibt es mehrere Zimmer, in denen auf dem Boden Matten ausgelegt sind. Mal etwas anderes. Ich suche mir einen Platz nahe am Fenster, das geöffnet bleiben kann, da es auch nachts nicht mehr abkühlt. Ich bin so ein Frischluftfanatiker, dass ich das sehr schätze. Ich schreibe es in mein Büchlein: „Fenster die ganze Nacht weit offen, herrlich!“ Es ist ein idyllischer Ort. Vögel zwitschern und ich fühle wieder diese Dankbarkeit, die ich heute auf meinem heißen Weg fast verloren hätte.
Abends bitten die Herbergseltern zur Andacht im Freien. Wir stehen im Kreis und lauschen dem Herbergsvater, wie er die Namen der Pilger, die dieses Jahr schon in dieser Herberge übernachtet haben, nennt und ihnen „buon camino“ wünscht. Dieses Ritual berührt mich tief. Da nimmt das Mädchen, das neben mir steht, meine Hand und drückt sie fest. Verstohlen wische ich mir mit dem Ärmel ein paar Tränen weg.
Beim Abendessen setzt sich das Mädchen neben mich und stellt sich als Marga vor. Sie dürfte um die 20 sein, ist klein und zierlich. Sie kommt aus Niederbayern, was in der Fremde sofort verbindet, obwohl ich sonst strikt darauf bestehe, dass ich aus Oberbayern komme. Wir schwatzen noch eine Weile, dann muss ich einfach schlafen. Der Tag war lang und ereignisreich.
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