Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Millionen Pilger vor mir haben wahrscheinlich genauso erbärmlich gefroren wie ich jetzt. Der Wind pfeift erbarmungslos und meine Finger stecken schmerzhaft kalt in den viel zu dünnen Handschuhen. In Hontanas, einem kleinen, alten Dorf, das hinein geschmiegt ins Tal vor mir liegt, erinnern verfallene Steinhäuser ebenfalls an lang vergangene Zeiten. Ich hüpfe den Weg hinunter und finde eine Bar in einem der alten Steinhäuser. Erwartungsfroh betrete ich einen niedrigen Raum, in dem mich beißender Rauch empfängt. In einem offenen Kamin, in einem ungesund bläulich flackernden Feuer, kokeln Plastikflaschen vor sich hin. Aber es ist warm. Und es gibt etwas Heißes zu trinken. Ich bestelle einen café con leche und sehe fassungslos zu, wie der Wirt ein Glas nimmt, es in eine viereckige Schüssel mit Wasser taucht, in dem schon mindestens fünf fettige Pfannen und mehrere sehr, sehr schmutzige Töpfe gespült wurden und dann den Kaffee aus der Maschine in mein Glas laufen lässt. Ich denke fieberhaft nach, was ich tun soll. Dann nehme ich das Glas, wärme meine Hände daran, schließe die Augen und trinke. Mein Entschluss bei Antritt des Weges fällt mir wieder ein, mich vor nichts zu grausen. So viele Pilger, hauptsächlich Frauen, habe ich gesehen, deren Lippen ein dicker Herpes „zierte“. Ich würde das nicht bekommen. Ich würde alles nehmen, wie es ist und mich an den Ausspruch meiner bayerischen Heimat erinnern: „Dreck macht Speck!" Also würde ich mich zusammenreißen und mich nicht anstellen. Punkt. Aufgewärmt und schmunzelnd ob der verrauchten Bude und dem Wirt mit der skurrilen Hygienevorstellung, mache ich mich wieder auf meinen Weg.
Mitten in der Pampa nutze ich einen Hauch Sonne und ein windstilles Plätzchen, um meine Isomatte auszubreiten und eine ausgiebige Rast zu machen. Ich war immer zu früh an der nächsten Herberge. Der Nachmittag ist lang, wenn es so gar nichts zu tun gibt, man nichts zu lesen und schlimmer noch, nichts zu essen hat. Heute habe ich Glück. Ein kleines Lokal in Castrojeriz hat geöffnet und bietet das Pilgermenü an. Wie es wohl der kanadischen Pilgerin Natalie mit ihrem schmerzenden Knie ergangen sein mag? Erst einmal würde ich etwas essen und dann das Krankenhaus aufsuchen, um nach Natalie zu schauen. Ich setze mich an einen kleinen Tisch zu einer älteren Dame und als sie hochschaut, erkennen wir uns. „Natalie, ja so eine Überraschung! Gerade habe ich an dich gedacht, “ sage ich aufgeregt zu ihr. Sie erzählt mir dann auch ausführlich, wie sie der Bürgermeister von Hornillos hierher gefahren hatte und dann 25,-- Euro von ihr verlangte. Es gibt eben auch geschäftstüchtige Herbergsväter. Aber sie sei ärztlich gut versorgt worden und könne nun langsam den Weg weitergehen. Ich bewundere ihren starken Willen. Das Pilgermenü mundet mir heute so gut, dass ich es sogar in meinem Tagebüchlein notiere: „Mei, schmeckt das gut!!!“ Besonders das Glas Wein, das zum Pilgermenü gehört, schmeckt mir. Es belebt die Sinne und vertreibt triste Gedanken über das Wetter, das für diese Jahreszeit definitiv zu kalt ist.
Ich verabschiede mich von Natalie, froh, dass es ihr wieder besser geht, wünsche ihr „buon camino“ und trete in die kalte, klare Luft hinaus. Gleich gegenüber sehe ich ein Schild, auf dem steht „Refugio abierto“. Ich werde beim Eintreten von einem „Urvieh“ von Herbergsvater mit langem weißen Rauschebart polternd mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Er hebt mich mit Leichtigkeit in die Luft, um mich dann lachend wieder auf meine Füße zu stellen. Ich bin die erste Pilgerin heute und er zeigt mir gut gelaunt den Schlafsaal. Begeistert sehe ich, dass es eine feudale Herberge ist, mit Trennwänden zwischen den Stockbetten. So ein bisschen Privatsphäre genieße ich, denn das ist selten auf dem Weg. Da verzeihe ich sogar die eiskalte Dusche und das Wäschewaschen mit kaltem Wasser. Ein kleiner, entzückender Garten mit einem Fliederbusch empfängt mich zugleich mit einem kleinen Sonnenstrahl. Hier hänge ich meine Wäsche auf und setze mich dann nahe am Haus in die Sonne. Weitere Pilger gesellen sich dazu und ich höre einen Österreicher, bestimmt ein Wiener, wie er nach Hause telefoniert und sagt: „Das Wetter ist die Pest!" Er weiß noch nicht, dass ich ihn verstehe. Wir lachen beide, als ich ihn, den Wiener Dialekt nachahmend, anspreche. Er stellt sich vor als Ewald aus Wien und wir unterhalten uns angeregt. Ein paar Pilger reden
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