Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Urlaub, nicht wie Pilgern. Die Stadt hat Charme und pulsiert voller Lebendigkeit. Ich bekomme ganz große Lust, mir etwas Buntes zum Anziehen zu kaufen. Ein sommerliches Oberteil, das nicht so langweilig ist, wie meine zwei dunkelblauen, sportlichen T-Shirts. Ich werde fündig. Ein leuchtend orangefarbenes, leichtes Shirt mit hübschem V-Ausschnitt in Wickeloptik. Ich fühle mich super und freu mich über meinen Neuerwerb. Am Nachmittag im Café am Platz der Kathedrale, setzt sich Leopold, einer der Österreicher, zu mir und spricht mich direkt auf meine gute Ausstrahlung an. Ja, ich sprühe vor Freude und Begeisterung über meinen „neuen, inneren Weg“. Ich bemerke die Veränderung jetzt täglich und sie scheint auf Menschen anziehend zu wirken.
Hier lerne ich auch Moni kennen, ein stilles, sehr sympathisches Mädchen, das sich zu uns setzt. Wir plaudern über den Weg und was jeder sonst macht, wenn er nicht gerade auf dem Jakobsweg pilgert. Sie spielt Schach und lebt nicht weit weg von München. „Wunderbar, dann treffen wir uns nach unserem Weg auf eine Schachpartie!“ machen wir aus. Es tut mir gut, bayerisch mit ihr zu sprechen. Ich bin „bekennende Bajuwarin“, nachdem ich nicht sehr glückliche Erinnerungen an meine „Auswanderversuche“ habe. Marga kommt ins Café und gesellt sich zu uns. Süß sieht sie aus, mit ihrem neuen Haarschnitt. Sie war hier in León beim Friseur und das hatte ihr so gut getan, wie mir der Kauf meines farbenfrohen Shirts. Sie schaut Moni, mit der ich mich wunderbar austauschen kann, etwas kritisch an. Plötzlich beugt sich Marga zu mir und küsst mich leidenschaftlich auf den Mund. Ich bin perplex. Nicht nur des Kusses wegen, sondern auch wegen des dicken Herpes auf ihrer Lippe. Nun, ich habe nicht vor, mich anstecken zu lassen. Marga ist wohl eifersüchtig auf Moni. Ich fasse es nicht! Moni gibt sich unbeeindruckt und reagiert nicht auf den Ausbruch Margas. Ich bin etwas verunsichert. Die Nacht engumschlungen mit Marga in der Putzkammer Lobo’s begreife ich jetzt, war mehr als nur der Wunsch nach Nähe auf diesem anstrengenden Weg. Ein prickelndes Abenteuer, denke ich.
Die Herberge in León ist riesig. Sie wird von Schwestern geführt und wir werden gebeten, uns zur Andacht im Hof zu versammeln. Unzählige Pilger drängen sich in dem weitläufigen Patio. Ein Pilger hat seinen Hund dabei, der sich die wunden Pfoten leckt. Er tut mir leid, der Hund, und ich bekomme Sehnsucht nach meinen Tieren. Aber ich weiß sie nicht nur in guten Händen bei Karsten, ich bin mir auch bewusst, dass meine Hunde diese Strapaze des langen Weges nicht schadlos überstanden hätten. Ich frage mich auch, wo der Pilger mit seinem Hund übernachtet, denn in den Herbergen sind Tiere nicht erlaubt. Ich habe keine Gelegenheit, den Hundebesitzer danach zu fragen, denn eine Schwester bittet um Ruhe. Sie spricht ein Gebet und dann spricht sie vom inneren Weg, der so viel wichtiger sei als der äußere. Es ist der Camino del Corazon, der Weg des Herzens, der uns verwandelt. Ich freue mich über diese Botschaft, nachdem ich erst gestern das Gefühl hatte, meinen inneren Weg gefunden zu haben. Nach dem Pilgersegen sucht sich jeder sein Bett in dem großen Schlafsaal. Marga winkt mir zu. Sie hat ein Doppelbett ergattert und ich folge ihrer Einladung, es mit ihr zu teilen. Die körperliche Nähe empfinde ich als kraftspendend und ich schlafe, eng an Marga geschmiegt, glücklich ein, dankbar für die Erlebnisse dieses Tages in der schönen Stadt León .
Ich wache auf und bin allein. Ich strecke meinen Arm auf die andere Betthälfte aus, aber da ist niemand. Noch schlaftrunken erinnere ich mich an die Nähe und Wärme Margas. Das war schön, sie in meinen Armen zu halten. Auch wenn ich mich normalerweise nicht erotisch zu Frauen hingezogen fühle. Ich erfahre, dass Marga und die Österreicher schon früh los gezogen seien.
Abschied nehmen ist auf dem Weg an der Tagesordnung. Normalerweise laufe ich gerne allein. Meistens ist es mir sogar lieber, als mich gehend zu unterhalten und vom Weg, meinen Gedanken und den Eindrücken der Natur abgelenkt zu sein. Nur jetzt fühle ich mich wie verlassen. Hätte sie mich nicht wecken können oder mir wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Ich ertappe mich dabei, eine Form von Besitzanspruch zu fühlen, nachdem ich mit Marga so viel Nähe zugelassen hatte. Ich muss direkt über mich schmunzeln, als ich es bemerke. Nein, ich wollte gar nicht so weit denken. Eilig packe
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