Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Stadtmauern, ein römisches Tor beim Bischofspalast, Tempel, Thermen und römische Häuser sowie ein Kanalsystem wurden ausgegraben und teilweise zugänglich gemacht. Mittelalter und Neuzeit haben ihr bedeutendstes Zeugnis in der Kathedrale hinterlassen. Der Bischofspalast ist ein Werk von Antonio Gaudí in seinem ihm eigenen, verspielten Stil erbaut. Soviel Kunstvolles ist zu bestaunen. Dennoch fordern meine müden Füße ihren Tribut und ich setze mich auf der Plaza in ein Café, nachdem ich meinen Rucksack in der Herberge deponiert habe, wie "una turista" und genieße die wärmende Sonne.
Einige bekannte Gesichter sitzen rundherum an den kleinen Tischchen. Wir kennen uns vom Weg oder aus den Herbergen. Nicht alle kenne ich mit Namen, ich spüre aber doch die Verbindung zu ihnen. Jemand ruft meinen Namen und ich schaue in das bekannte Gesicht eines Menschen, den ich bisher nicht auf dem Weg getroffen habe, aber doch gut kenne. "Freddy aus Wien! Das gibt's doch gar nicht! Was tust Du denn hier?", frage ich ihn, perplex über diese Begegnung. Freddy hatte ich in einem Fünf-Tages-Seminar kennen gelernt, das ich letzten Monat um Ostern herum in Österreich besucht habe. Da hatte ich von meinem Vorhaben Jakobsweg berichtet und Freddy hatte sich ganz interessiert nach Details erkundigt. Er erzählt mir, dass er sich kurzentschlossen aufmachte, um wenigstens zwei Wochen seines Urlaubs diesen Weg zu gehen, von Astorga bis Santiago. Jetzt verstehe ich auch, warum er immer wieder mal per SMS nachgefragt hat, wie es mir gehe und wo ich gerade sei. Er will alles darüber wissen, wie es mir bis jetzt auf dem Camino ergangen ist. Er spendiert mehrere Gläser Rotwein und ein Essen, ich erzähle, schmücke aus und jammere auch ein bisschen, weil es so schön ist, getröstet und für meine Leistung bewundert zu werden.
Mein Rhythmus geht verloren
Ganz selbstverständlich brechen wir am nächsten Morgen gemeinsam auf, der Freddy und ich. Heute ist es eine leichte Etappe von 20 Kilometern bis Rabanal del Camino. Das ist gut für Freddy, der nicht sehr sportlich unterwegs ist, und ich passe mich seinem langsameren Tempo an. Und wir machen öfters Pausen in kleinen Bars, trinken Bier und essen Bocadillos und ich rede mir ein, dass ich das auch will. Es schadet mir auch nicht, mehr zu essen als bisher auf meinem Weg. Die Wanderhose schlottert mir an den Beinen und rutscht, sobald ich den Gürtel geöffnet habe, bis auf die Knie.
Ich schätze einerseits die "Botschaft aus dem normalen Leben", die Freddy mir bringt. Er erzählt von unserem gemeinsam erlebten Seminar, das für mich schon so weit weg ist, und von seinem Job. Andererseits fühle ich mich auf meinem Weg gestört, der mir mehr zu Hause geworden ist, als ich mir vor meiner Abreise je hätte vorstellen können. Freddy ist ja neu hier, ein Fremder, der mir fremder ist, als die Pilger, denen ich begegne, kurze Blicke und ein paar Gedanken austauschend.
Ich spreche ein paar ernste Worte still zu mir. Als Pilger nimmt man das, was man bekommt, basta. Hier auf dem Camino geht es nicht um die Erfüllung der eigenen Erwartungen, hier geht es darum, sich auf das "Jetzt" einzulassen, wie immer es gerade auftaucht. Das ist ja auch eine gute Schule, ein gutes Training für all die angestrebten Tugenden, wie Annahme, Hingabe, Loslassen, Demut, Dankbarkeit und der Bereitschaft, für andere da zu sein. Es wirkt! Es geht mir besser. Ich lasse mich bewusst auf Freddy ein und wir kommen wohlbehalten in Rabanal del Camino und seinem Refugio an, welches von der englischen Confraternity of Saint James freundlich geleitet wird. Es ist irgendwie eine lustige Herberge. Mittendrin steht ein Tresen, an dem man wie in einem Pub sitzt und Bier und Wein trinkt. Ich erkläre Freddy, der äußerst angenehm von diesem Service überrascht ist, dass es sich um eine willkommene Abwechslung handelt und ich bisher noch nie eine Herberge mit integrierter Bar erlebt hätte. Wir schwatzen und lachen zusammen mit Pilgern aus den verschiedensten Ländern, mit verschiedensten persönlichen Geschichten und doch einem gemeinsamen Weg nach Santiago. Dann wird es höchste Zeit, ins Bett zu kommen. Stabile, hölzerne Stockbetten, großzügig in dem riesigen Raum verteilt, versprechen eine gute Nacht. Ich kann jedoch nicht einschlafen. Ich friere und denke zu viel nach. Diese Kombination ist für mich die Garantie für eine schlaflose Nacht. Freddy, der im Bett unter mir liegt, bemerkt meine Unruhe und fragt mich, was
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