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Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Titel: Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Milde
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Leben, das Gott dir geschenkt hat, nur dann wirklich  lebst, wenn du dich Neuem öffnest, Tag für Tag."
    Ich lese die Zeilen wieder und wieder. Ich bitte in stillem Gebet um Zeichen, die mir helfen, diese Worte besser zu verstehen. Da sagt Freddy in die Stille: "Manche Umwege machen keinen Sinn!" (was meint er damit?) und er zitiert "die Weisheit des Indianers", eine Geschichte, die ich gut kenne und ich denke an die Passage daraus (sinngemäß):" Ich will wissen, ob du andere verraten kannst, um dich selbst nicht zu verraten" und ich zucke zusammen bei dem Gedanken, wie oft ich mich und meine Seele schon verraten habe, um andere vermeintlich zu schützen.
    Das alles ist harter Tobak und ich schlucke schwer an dieser Lektion. Gleichzeitig fühlt es sich richtig an, dass dieses alte, begrenzende Programm hochkommt. So richtig, genau hier, am Cruz de Ferro.
    Ich umarme Moni noch einmal dankbar. Sie hat der Himmel geschickt. Zum Abschied flüstert sie mir noch ins Ohr: "Lass dir Zeit, Laura, es fügt sich alles zur rechten Zeit." Auch dieser Gedanke ist wertvoll für mich und ermöglicht mir, den Weg mit Freddy in aller Ruhe fortzusetzen. Der richtige Zeitpunkt würde kommen, an dem ich wissen würde, was ich tun will. Ich vertraue auf den Camino. Täglich passiert so viel. Ich gehe weiter, bin offen.

Vogelwild
    Bewusst betrachte ich die bezaubernde Landschaft. Es ist wunder-, wunderschön! Angenehm geht es etwas bergab und wir landen in dem verlassenen Bergdorf Manjarín, wo sich eine pittoreske Templerherberge befindet. Drei Hunde tollen herum, Katzen liegen träge in der Sonne und das Gerümpel ringsumher vervollständigt den Eindruck von malerischem Chaos. Es gibt Kaffee für alle Pilger. Ich setze mich auf einen umgestülpten Eimer, schlürfe den wohltuend heißen Kaffee und locke einen jungen Hund zu mir, der spielerisch nach meiner Hand schnappt. Am liebsten würde ich hier bleiben. Das Chaos rundherum spiegelt mein inneres Gefühlschaos. Und ich schaffe es, es da sein zu lassen. Nicht dagegen anzukämpfen. So wie sich hier die Pilger bei spendiertem Kaffee und Zuspruch von dem Alten, der hier haust, versammeln und sich inmitten des Durcheinanders wohlfühlen, so darf auch mein Chaos da sein. Es hat ja auch etwas von Fülle, von lebendig sein.
    Wir wollen aufbrechen. Es liegt noch viel Weg vor uns. Es sind noch 5 Stunden bis zur heutigen Zieletappe. Ein kurzer, schweißtreibender Anstieg fordert uns heraus. Aber dann kommt die Belohnung. Es geht stets leicht, nicht steil, bergab und wir können leichten Schrittes die herrliche Natur genießen. Freddy will mit mir reden. Ich habe das Gefühl, dass er mich vereinnahmt. Ich will einfach nur schweigend gehen. Wir schwingen nicht in der gleichen Wellenlänge. Ich muss es ihm sagen, denke ich, dass ich allein weiter gehen will, wieder meinen Camino zurückhaben will. Ich verschiebe dieses unangenehme Gespräch, nicht nur, weil wir gerade in dem unglaublich hübschen Dorf El Acebo ankommen, das mit Blumen übersäten Balkonen eine Postkartenidylle zaubert. Wir schlendern durch den Ort und gelangen zum Friedhof, wo ein Denkmal an einen tödlich verunglückten deutschen Fahrradpilger erinnert.

Zeltlager
    Wir kommen nach langem Marsch über den Berg in Molinaseca an und finden etwas außerhalb eine neue, mir noch unbekannte Art der Herberge. In einer großen Wiese stehen jede Menge einzelner, kleiner und größerer Zelte. Freddy hat starke Schmerzen. Er ist das lange gehen und die Hitze nicht gewöhnt. Es waren immerhin 26 Kilometer, die wir heute bewältigt haben, und dazu noch einige Höhenmeter. Ich selbst bin glücklich über die Sonne, die mir so lange gefehlt hat und die ich besser vertrage als Kälte und Dauerregen. Es gibt keine Versorgung mit Essen hier im Ort. Das bedeutet ein karges Mahl aus einem Müsliriegel, den wir uns teilen, und Wasser. Ich kenne das schon von meinem Weg und kann das gut aushalten. Für Freddy ist es eine Qual, zu seinen Schmerzen jetzt auch noch hungern zu müssen. Er jammert. Mich regt es auf. Ich habe auch Schmerzen, jeden Tag. Die Füße tun weh. Abends tun sie so weh, dass ich nicht für möglich gehalten hätte, dass Füße so weh tun können. Das ist normal auf dem Weg. Das bekümmert mich nicht mehr, da sie mich so oder so tragen. Der Rucksack ist die größte Plage für mich. Die Schultern tun weh. Der Rücken tut weh. Die Hüfte tut weh. Manchmal stopfe ich mir meine Jacke zwischen Rücken und Rucksack. Manchmal hilft es.

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