Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
die herrliche Massage, für das Essen will Marcel nichts haben, das sei ganz normale Gastfreundschaft, und verabschiede mich hinaus in den Nebel, der inzwischen den Regen abgelöst hat. Es sind noch einige Höhenmeter zu überwinden, aber der Weg ist leicht zu finden, trotz des Nebels. Ich fühle mich beschwingt und leicht wie lange nicht mehr, als wäre mit der Anspannung auch seelisches Gewicht von mir abgefallen. Ich habe die Lektion verstanden, mehr auf dem Weg zu sein, anstatt immer schon in Gedanken am Ziel. Ich hatte bisher viel zu selten die Angebote am Weg angenommen, das wollte ich die letzten Tage auf meinem Camino ändern. Marcel hatte mich auch darauf hingewiesen, dass die meisten Pilger, blind vor Sorge um ein Bett in der nächsten Herberge, den Weg und seine Geschenke gar nicht richtig wahrnehmen. Ich freue mich über mich, dass ich heute mit offenen Augen und offenem Herzen unterwegs war und so reich beschenkt worden war.
Galicien
Ein Grenzstein mit Wappen weist mich darauf hin, dass ich die Grenze nach Galicien überschritten habe. Ab hier beginnen die Entfernungsangaben bis Santiago. Jeder Kilometerstein markiert einen Kilometer weniger bis zum großen Ziel. An der Regionsgrenze sind es noch 152,5 Kilometer. Ich wundere mich, dass diese Angabe keine Freude in mir auslöst. Eher Beklemmung, dass ich schon so bald angekommen sein soll. Ich will doch noch das Gelernte umsetzen, noch so viel erfahren und mochte nicht daran denken, dass der Weg überhaupt irgendwann zu Ende sein würde.
Die Herberge auf dem Berg O Cebreiro ist rappelvoll. Ich erfahre, dass ich meine Isomatte auf dem Boden im Gang ausbreiten könne. Ach du lieber Gott, das kann ich mir nun gar nicht vorstellen. Es herrscht ein Gewusel und der Gang ist vielbegangen von den Pilgern, die zu ihren Schlafplätzen eilen. Ich will es nicht glauben, dass mich Santiago im Stich gelassen haben soll. Ich hatte so sehr darauf vertraut, immer ein Bett zu haben. Da höre ich meinen Namen rufen: "Laura komm, ich habe ein Bett für dich annektiert!" Ich muss über diesen Ausdruck lachen und dankbar und voller Freude falle ich Freddy um den Hals. Er sieht gar nicht so fertig aus wie sonst und strahlt voller Siegesbewusstsein. Er hatte es wirklich clever angestellt, mir ein Bett zu reservieren, denn das war grundsätzlich nicht erlaubt.
Als die Hospitalera, die mich vorhin gnadenlos auf den Gang verwiesen hatte, hereinkommt, nimmt mich Freddy schnell in die Arme und ich verberge mein Gesicht an seiner Brust. Als sie wieder draußen ist, atmen wir auf und ich breite meinen Schlafsack auf dem für mich eroberten Bett aus.
Dann gehen wir heiter, uns an unserer Komplizenschaft freuend, rüber in die Bar zum Essen. Mit einem Glas Roten stoßen wir auf unseren Sieg an.
Diese Nacht schlafe ich wieder wie ein Baby, nachdem ich Santiago zugezwinkert habe und denke: "Da hattest doch sicher du deine Finger mit im Spiel?! Dankeschön für das Bett, Santiago, und für die herrliche Massage. Das war heute der Hit!"
Im Nebel
Freddy, Moni, ein paar bekannte Mitpilger und ich frühstücken heute einmal ausgiebig in der Bar neben der Herberge. Heute wird nur der Abstieg anstrengend werden, denn bis dahin geht es ohne bedeutende Höhenunterschiede relativ eben dahin. Noch herrscht dichter Nebel und wir lassen uns Zeit mit dem Aufbruch. Wir plappern ausgelassen und genießen die Gemeinschaft, wohl wissend, dass Santiago immer näher rückt.
Als wir losgehen hat sich der Nebel etwas verzogen. Dünne Schleier treiben über den Baumkronen und den entfernten Bergen und zeichnen eine zauberhafte, märchenhafte Stimmung in den Himmel. Der Blick ist überwältigend über das weite Land Galiciens.
Freddy und ich setzen uns an den Wegesrand auf ein paar Steine. Aber dieses friedliche Miteinander hält nicht lange an. Schon bald sind wir wieder in einem Gespräch über Freiheit und Unabhängigkeit und ich verteidige meine Sichtweise vehement, will mich nicht vereinnahmen lassen und auch gar keinen Gleichklang mehr herstellen. Das hatte in den letzten zusammen geführten Gesprächen schon nicht geklappt. Ich bin es so leid, zumal ich, harmoniesüchtig wie ich bin, keine Lust habe, zu streiten. Wieder einmal kommt wie aus dem Nichts Moni dazu und fragt, ob sie helfen kann. Sie scheint auf dem ganzen Weg mein Friedensengel zu sein. Mit ihrer ruhigen Art, ihrer warmen Ausstrahlung, schafft sie es schnell, eine Atmosphäre der Versöhnung zu schaffen. Ich verabschiede mich wieder
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