Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Bierzo, auch das "kleine Santiago" genannt, ihrer zahlreichen Kirchen und Pilgerherbergen wegen.
Nachdem ich die Stadt Ponferrada durchquert habe, vorbei an schwarz-grauen Schlackenhalden des Kraftwerkes von Ponferrada, sowie den Ort Columbrianos und noch einen Ort namens Camponaraya, gelange ich endlich wieder in wohltuende Natur. Weinberge säumen meinen Weg und ich breite meine Isomatte aus, zwischen den Rebstöcken unter einem Baum, und strecke die müden Beine aus. Ich verzehre genüsslich zwei Avocados und eine Orange, die ich mir unterwegs gekauft hatte, dazu waren Städte ja gut. Ansonsten strengt es mich an, durch wuselige Städte zu laufen, inzwischen ungewohnterweise Abgase einzuatmen und die Betriebsamkeit der Menschen zu spüren. Ich war auf dem besten Wege, eigenbrötlerisch zu werden. "Was soll's", denke ich mir, "der ganze Pilgerweg ist ja eine Ausnahmesituation, da sollte ich nicht so streng mit mir ins Gericht gehen". Ich betrieb ja auch daheim Stadtflucht, wohnte lieber auf dem Land, als in der Stadt und ging lieber in die Berge als zum Stadtbummel.
Gerade als ich aufbrechen will, meine Isomatte zusammengerollt habe, höre ich Freddy daher schnaufen. Wo hatte ich ihn denn überholt? Ich lasse mich überreden, noch ein wenig sitzen zu bleiben, breite meine Matte wieder aus und höre mir seine Klagen über die Hitze und den Staub, den Lärm der Stadt, die Schmerzen und überhaupt alles, an. Warum habe ich bei ihm immer das Gefühl, Schuld an allem zu sein? Das Gefühl des genervt seins steigt wieder in mir auf. Wo war meine Hochstimmung von heute Morgen geblieben? Höchste Zeit, aufzubrechen. Ich verabschiede mich, mit den Worten: "Ich würde dir gerne helfen, aber das ist unmöglich. Du kannst das nur selbst, indem du aufhörst, dich gegen alles zu wehren." Seine Unmutsbezeugung zeigt mir, dass ich zu viel gesagt hatte. Mit einem "buon camino" und "Ich wünsche dir wirklich, dass du deinen Weg findest", mache ich mich auf meinen Weg. Auf meinen eigenen Camino, mit meinen eigenen Befindlichkeiten. Ich habe genug mit mir selbst zu tun.
Es war ein langer Marsch und ich freue mich über den liebevollen Empfang in der rustikalen Herberge in Villafranca del Bierzo, bekomme ein Bett unterm Dach, unter Dachbalken und einem kleinen Dachfenster. Einfach zum Wohlfühlen! Amerikaner führen dieses Refugio und ich unterhalte mich angeregt mit den zwei Frauen, die gerade das Essen für alle zubereiten.
Freddy kommt rechtzeitig zum Essen und verschiebt die Dusche auf nachher. Es sind sonst keine Pilger da, die ich kenne. Sie scheinen eine andere Route gewählt zu haben oder in einer der Herbergen auf dem Weg geblieben zu sein. Vielleicht war dieser Ort ein Geheimtipp für englischsprachige Pilger. Ich genieße es, mich ohne Sprachbarrieren zu unterhalten und noch mehr genieße ich das üppige Mahl. Ich lange tüchtig zu, es ist mehr als genug da für alle. Vielleicht schaffe ich es ja, mir ein Kilo anzufuttern, um meine Hose an ihrem Platz zu halten. Ich muss grinsen bei diesem Gedanken, weil ich oft genug Diäten gemacht hatte, um Gewicht zu verlieren. Diese "Diät" hier war mir lieber.
Freddy sucht die Dusche auf, als plötzlich ein Schmerzensschrei und ein dumpfer Schlag zu uns dringt. Mit mir springen noch die zwei Hausfrauen auf und wir finden Freddy stöhnend auf dem Fliesenboden liegen. Er war mit dem Kopf an einen Dachbalken geknallt und aus einer Platzwunde am Kopf sickert Blut. Zwei herbeigerufene starke Männer helfen ihm aufzustehen und führen ihn zu einer Pritsche. Die beiden Frauen holen einen Erste-Hilfe-Kasten und säubern die Wunde unter Freddys Stöhnen . Sie geben ihm etwas zu trinken, worauf er sich beruhigt. Zu gerne hätte ich gewusst, welchen Zaubertrank sie ihm verabreicht haben. Die kleine Wunde ist bald versorgt, mit einem Zugpflaster raffiniert zusammengehalten und mit Mull verbunden. Als Freddy so versorgt in seinem Schlafsack liegt, kehre ich in die Stube zurück, um mich wieder mit den Leuten zu unterhalten, aber meine Stimmung bleibt gedrückt und ich verziehe mich bald in mein Bett.
In Gedanken lasse ich den Zwischenfall Revue passieren. Warum lasse ich mich so beeinflussen, warum von den Problemen anderer Menschen so herunterziehen? Ich erinnere mich an einen Lehrer, der einmal zu mir sagte: "Laura, du kannst nicht die ganze Welt retten! Du solltest erst einmal für dich selbst sorgen." Wie wahr! Ich fasse einen neuen Vorsatz, mich nicht so schnell aus der Ruhe bringen zu
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