Unheilvolle Minuten (German Edition)
zwar endgültig scheiden, aber es ist eine Scheidung im guten Einvernehmen. Addy geht’s gut und meiner Mutter geht es auch gut.«
Wie oft habe ich jetzt »gut« gesagt? »Ich trinke nicht mehr. Konzentrier mich aufs Lernen.«
»Schön«, sagte sie. Es war ganz offensichtlich, dass er log. Sie staunte darüber, dass er sie früher so leicht hatte täuschen können.
Ihm wurde bewusst, dass sie einmal »gut« und einmal »schön« gesagt hatte, darüber hinaus aber außer dieser einen Frage nichts von ihr gekommen war. Er hätte sich gern nach ihrer Schwester erkundigt, nach Karen, aber das ging nicht; das würde zu dem Thema führen, was in ihrem Haus geschehen war. Seine Gedanken entglitten ihm, verhedderten sich. Wie oft hatte er von einer solchen Begegnung geträumt. Hatte sich Gespräche ausgedacht, sich ausgemalt, was er sagen würde und was sie sagen würde, und jetzt war er sprachlos. Und mehr als das: ohne einen Gedanken im Kopf. Wie es ihm manchmal in der Klasse passierte, wenn er ein Referat hielt und sein Kopf plötzlich ganz leer war.
»Also, ich muss jetzt gehen«, sagte sie. »Meine Mutter wartet auf mich – ich hab mich ohnehin schon verspätet.«
»Jane«, sagte er, konnte sie nicht gehen lassen.
Sie hielt inne, wandte sich halb zu ihm um, sagte nichts, wartete.
Sein Kopf wurde klar, und er sprach die Worte aus, die er unzählige Male im Geiste geübt hatte. Worte, die sie an die guten Zeiten erinnern sollte.
»Eine Zeit lang war es doch wunderschön, Jane, nicht wahr?«
Er sah aus, als finge er gleich an zu weinen.
Sie dachte an die Verwüstung und an Karen, die all diese Zeit im Koma gelegen hatte, an den Tod von Mickey Looney und an ihren Vater, ihre Mutter und Artie. Und an die gelben Flecken unter dem Farbanstrich in ihrem Zimmer.
»Ja, war es das?«, sagte sie. Plötzlich tat er ihr leid, so leid. Als Mitleid sich in das Loch in ihrem Inneren ergoss, entdeckte sie, wie weit Mitleid von Hass entfernt war, wie weit weg von Liebe.
Sie bestieg die Rolltreppe und fuhr langsam nach oben, ließ ihn unten stehen und schaute nicht zurück.
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Leseprobe:
Todd Strasser,
Wish U Were Dead
an-G-kozzt – 1
Heute hat mich Lucy Cunningham in der Schule mal wieder angeguckt, als wäre ich der letzte Dreck. Zu Lucy muss ich nicht viel erklären. Es gibt nur einen Typ Mädchen, der diesen Blick draufhat. Ich habe das Blog hier heute angefangen, um endlich mal meine wahren Gefühle rauszulassen und offen zu sagen, was mich alles ankotzt – also: Es tut jedes Mal weh, wenn Lucy und ihre Freundinnen (aber die machen bloß nach, was Lucy ihnen vormacht) mich so mit Blicken abstrafen. Aber es gibt etwas, das noch mehr wehtut: Manchmal denke ich, dass sie Recht hat.
an-G-kozzt – 2
Ich hasse mich. Wie ich bin und wie ich aussehe. Ich weiß, dass man so was eigentlich nicht sagen darf, weil nur oberflächliche Menschen nach Äußerlichkeiten urteilen. Wenn ich wenigstens sagen könnte, ich weiß, dass ich tief in meinem Inneren ein wertvoller Mensch bin. Aber anscheinend bin ich tief in meinem Inneren echt oberflächlich, weil ich nämlich alles dafür geben würde, nicht so auszusehen, wie ich aussehe. Warum kann ich nicht hübsch sein? Oder intelligent. Oder wenigstens talentiert. Aber was ist? Ich bin ein Nichts.
[Kommentare]
ApRilzDay
: Hallo du. Ich hab gerade dein Blog gelesen. Ich kenne dich zwar nicht, aber ich finde es voll krass, dass du so was über dich schreibst. JEDER Mensch hat etwas, das ihn zu etwas Besonderem macht. Und Talent hast du auf jeden Fall. Der Satz darüber, dass du tief in deinem Inneren oberflächlich bist, ist echt TOTAL witzig.
an-G-kozzt
: Findest du? Das war zwar keine Absicht, aber trotzdem danke.
an-G-kozzt – 3
Eine aus meiner Klasse hat mich mal gefragt, warum ich mir nicht wenigstens Mühe gebe, mich besser anzuziehen. Genau so hat sie es gesagt.
Wenigstens
. Als wäre es eine Zumutung, wie ich rumlaufe. Meine Mutter hat gar kein Geld, um mir ständig neue Sachen zu kaufen. Aber das ist nicht der Grund. Der wahre Grund ist, dass ich genau weiß, was die in der Schule dann sagen würden. »Hey, guckt mal. Jetzt versucht sie einen auf sexy zu machen. Ich lach mich tot!«
Warum sind die nur so fies und gemein?
[Kommentare]
realgurl4013
: ganz einfach. weil sie selbst unsicher sind, und andere fertigmachen müssen, damit keiner sie
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