Unheilvolle Minuten (German Edition)
Adios, Adam Pinter.
Lucy ließ die Kippe fallen und drückte sie mit dem Absatz aus. Egal was für Probleme sie hatte, sie würde sie lösen. Letztlich war alles nur eine Frage von Selbstdisziplin und Willenskraft. Wenn man hart genug an sich arbeitete, konnte man jedes Ziel erreichen. Alles, was sie war, hatte sie mit ihrem eisernen Willen erreicht. Sie hatte sich gequält, gekämpft und gelitten. Wenn sie lügen musste, um jemanden für ihre Zwecke zu gewinnen, hatte sie eben gelogen. Wenn sie einem anderen Mädchen den Freund ausspannen musste, weil er nun mal der heißeste Typ der Schule war, hatte sie es getan. Und sie hatte auch alles getan, was nötig war, um ihn zu halten. Wenn das nicht reichte, trennte sie sich von ihm, bevor er sich von ihr trennen konnte. Alles klar, Lektion gelernt. Letzten Endes war die Highschool nichts weiter als eine Welpenschule fürs Leben.
Gedankenverloren schlenderte Lucy durch die Dunkelheit zum Haus zurück. Die hohen Bäume warfen skelettartige Schatten auf den Asphalt und außer dem Echo ihrer eigenen Schritte herrschte Totenstille. Trotzdem verspürte Lucy nicht einmal den Anflug eines mulmigen Gefühls. Sie lebte seit ihrer Kindheit in Soundview, wo Kriminalität etwas war, das nur anderswo stattfand.
Als sie an einem besonders dicken Baumstamm vorbeikam, glitt geräuschlos eine Gestalt dahinter hervor. Lucy hörte nicht, wie sie hinter sie trat und ihr ohne jede Vorwarnung einen feuchten Lappen auf Nase und Mund presste. In blinder Panik schnellten ihre Hände zum Gesicht und versuchten den Lappen wegzureißen. Doch während sie nach Luft schnappte, zog sie einen beißenden Geruch tief in die Lunge ein, der ihr sofort dasGehirn vernebelte. Ihre Finger, die eben noch wild an dem Lappen zerrten, schienen nicht mehr richtig greifen zu können, und als sie schreien wollte, atmete sie noch mehr von dem Gift ein und ihr erstickter Schrei klang wie das weit entfernte Blöken eines verirrten Tieres.
In einem letzten verzweifelten Versuch, sich zu befreien, bäumte Lucy sich auf und griff nach hinten, um ihren Angreifer zu fassen zu bekommen. Sie spürte Stoff zwischen den Fingern, doch schon im nächsten Moment klappte in ihrem Kopf eine Falltür zu und alles wurde schwarz.
Ihr Griff lockerte sich.
Die Knie gaben unter ihr nach.
Ihr Körper erschlaffte.
Sie wäre zusammengebrochen, hätte ihr Angreifer nicht im selben Moment von hinten ihren Oberkörper umschlungen und sie zu einem um die Ecke geparkten Auto gezerrt.
Das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach, waren ihre Absätze, die über den Asphalt schleiften. Und von einem Moment zum nächsten gehörten alle Gedanken um ihre Zukunft der Vergangenheit an.
3
»Bonzenzicke«, brummte Tyler Starling, während er seinen scheußlich lila lackierten Wagen einhändig steuerte und die Lautstärke der Anlage aufdrehte. Aus den Lautsprechern dröhnte etwas, das er als »Hard-Style Techno« bezeichnete.
Ich saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und stöhnte leise in mich hinein. Die laut wummernde, elektronische Musik, falls man diesen Lärm überhaupt als Musik bezeichnen wollte, war ein regelrechter Terrorangriff auf die Ohren, besonders um diese Uhrzeit. Außerdem verstärkte sie das unbehagliche Gefühl, das ich schon seit einiger Zeit verspürte. Dabei hatte ich mich seit Tagen auf diesen Abend gefreut, der jetzt auf ganzer Linie als Enttäuschung zu enden drohte. Tylers Kommentar machte alles nur noch schlimmer. Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass ich keine Zicke war, aber wenn er etwas gegen Leute mit Geld hatte, dann war ich bei ihm jetzt auch schon unten durch.
Es gab allerdings noch einen weiteren Grund, warum ich mich unbehaglich fühlte. Wir hatten die oberste Regel des Schülerfahrdienstes »Safe Rides« gebrochen und nicht gewartet, bis Lucy Cunningham wohlbehalten im Haus war. Aber es war schließlich fast drei Uhr nachts und Lucy hatte sich einfach geweigert reinzugehen. Was hätten wir machen sollen? Sie an der Hand nehmen und zur Haustür führen?
Natürlich steckte mehr dahinter, als Tyler wusste. Um Lucys aggressives Verhalten zu verstehen, musste man wissen, dass siean einer psychischen Erkrankung litt. Da ich aber hoch und heilig versprochen hatte absolutes Stillschweigen darüber zu bewahren, konnte ich zu ihrer Entschuldigung nicht mehr sagen als: »So ist sie wirklich nicht oft.« Dabei fand ich selbst, dass sie es heute ganz schön übertrieben hatte.
»Wieso nimmst du sie in Schutz?«,
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