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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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schon lange her. Den Bemühungen, sie zu einem Besuch bei einem Therapeuten zu bewegen, hatte sie sich widersetzt. Sie hatte keine Albträume. Die Episode war so kurz gewesen und so schnell abgelaufen, dass sie sich an die Einzelheiten gar nicht mehr erinnern konnte. Mickey Looney tat ihr leid. Sie würde nie seinen Kummer und Schmerz vergessen, als sie hilflos an den Stuhl gefesselt war. Sie war keineswegs überzeugt davon, dass er sie tatsächlich umgebracht hätte. Und sie staunte selbst darüber, dass sie in der Lage war, Mickey und die Ereignisse im Schuppen in eine entlegene Ecke ihrer Erinnerung zu verbannen.
    Mit Buddy war das etwas anderes. In den ersten Tagen war er ein Schmerz in ihrem Herzen. Ihr war klar, wie dramatisch das klang, aber sie hatte wirklich das Gefühl brennender Schmerzen, als stäche ihr eine Messerklinge ins Herz und stochere darin herum. Vage war ihr bewusst, dass sie ihn immer noch liebte. Aber sie wusste zugleich, dass diese Liebe unmöglich war. Der Schaden war zu groß – der Schaden an ihrem Haus, ihrem Leben, ihrem Herzen. Wenn er früher ein Geständnis abgelegt hätte … wenn er ihr gesagt hätte, was er getan hatte, und ihr die Gründe erklärt hätte – dann hätte sie möglicherweise anders empfunden. Aber das würde sie jetzt nie erfahren. Das Schlimmste daran war, dass sie mit niemandem über Buddy reden konnte. Ihrer Familie sagte sie nur, dass die Beziehung vorbei war.
    »Ist in dem Schuppen etwas vorgefallen, was deine Gefühle ihm gegenüber beeinflusst hat?«, hatte ihre Mutter gefragt, und Jane hatte mit einem Ruck zu ihr aufgeblickt, erstaunt über den Scharfsinn ihrer Mutter.
    »Nein«, sagte sie. Es war ihr bewusst, dass sie log, aber sie fand keine andere Antwort. »Bei uns ging es ohnehin schon auseinander …«
    Die zweifelnden Blicke, die ihre Mutter ihr in den nächsten Stunden zuwarf, änderten nichts an Janes Entschluss, bei ihrer Lüge zu bleiben.
    Abends, bevor der Schlaf kam, sah sie ihn oft vor sich. Sie stellte sich vor, wie er in diesem Zimmer war, auf einer Zerstörungstour, mit Urinflecken an der Wand. Sie malte sich aus, dass die Flecken unter dem Farbanstrich immer noch da waren. War er dazu geworden – zu Urinflecken an der Wand? Kurz vor dem Einschlafen weinte sie manchmal. Ein seltsames Weinen, ohne Tränen.
    Eines Morgens, als sie die Augen aufschlug, sah sie die kahlen Wände ohne Poster und Bilder. Etwas war anders als sonst. Aber was? An den Rändern der Jalousien drang die Sonne ins Zimmer. Jane schlug die Decke zurück und setzte sich auf, schaute wie immer zu der bestimmten Stelle an der Wand, versuchte unter die Farbe zu sehen. Sie war anders geworden. Nicht das Zimmer. Der Schmerz über den Verlust von Buddy fehlte. Überhaupt kein Kummer, keine Wut. Und auch kein Gestank unter der Oberfläche. Nur dieses Loch in ihrem Inneren, wie ein schwarzes Loch im All. Ihre sämtlichen Gefühle, Zorn, Bedauern, Trauer, waren von diesem Loch aufgesogen worden. Jane stieg aus dem Bett, zog die Jalousien hoch und schloss die Augen vor dem Ansturm der Sonne. Dann zog sie sich zurück, horchte in sich hinein. Forschte nach, was sie fühlte. Sie fühlte – nichts. Taub. Leer. So halb und halb glaubte sie, dass kein Blut aus ihren Adern fließen würde, wenn sie sich jetzt schnitt. Als wären ihre Adern ebenso leer wie ihr Körper.
    Buddy war jetzt wirklich verschwunden, nicht nur aus ihrem Leben und ihren Tagen und Nächten, sondern auch aus ihr, aus dem, was sie tief in ihrem Inneren war. War es wirklich Liebe gewesen, wenn es einfach so von ihr weichen konnte? Was würde an diese Stelle treten? Konnte man durchs Leben gehen, ohne etwas zu fühlen? Sie hatte irgendwo gelesen, dass die Natur kein Vakuum duldete. Dieses Vakuum in ihr – womit würde es sich füllen?
    An diesem Tag rief Harry Flowers an.
    Ein angenehmer Duft zog durchs Haus, als sie den Hörer abnahm: In der Küche kochte ihre Mutter Karotten, die sie mit Zimt gewürzt hatte.
    »Hallo, Jane Jerome?«
    »Ja«, sagte sie zögernd. Die Stimme des Anrufers war ihr unbekannt.
    »Hör mal, du kennst mich nicht. Aber du kennst meinen Namen. Ich heiße Harry Flowers.« Sprach schnell weiter, als sie nach Luft schnappte: »Warte, leg nicht auf, tu bitte nichts. Hör einfach zu, das ist alles, ein, zwei Minuten. Lass mich sagen, was ich zu sagen habe …«
    Ihre Mutter kam an die Tür, schaute fragend herein. Jane schüttelte den Kopf, machte ein Gesicht, das »nichts Wichtiges«

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