Unheimliche Erscheinungsformen auf Omega XI
Schreibe hin. Ich sage ja nicht, daß du überhaupt nicht schreiben sollst, aber es muß nicht gerade jetzt sein.
Mir fällt es auch schwer, Merkur, gerade jetzt die Dinge fixieren zu müssen.
Paß auf, sagte ich, den Bericht hauen wir beide irgendwann schon z u sammen. Jetzt steigen wir erst mal ins Bad, damit du auf andere Geda n ken kommst.
Tatsächlich war es nicht nur mein Bad aus dem ersten Zimmer mit zwei multipliziert, es war eine gewaltige Muschel, besser gesagt, eine stilisierte Meerschnecke, aufgeschnitten, mit vielen Gängen und Wi n dungen, durch die man sich schlängeln und in denen man liegen und auf überraschende Springbrunnen und Wellenbewegungen und Farben und Düfte warten konnte. Man konnte drin tauchen und sich gegense i tig jagen.
Allerdings dazu waren wir beide zu müde, vor allem Elektra. Sie hockte zusammengekrümmt in blauem Wasser, ein merkwürdiges, nicht besonders hübsches Blau, und ich bemerkte, das Blau kam von ihrem Kugelschreiber, den sie mit ins Bad genommen hatte und mit dem sie wie verrückt notierte.
Da spritzte ich ihr einen ordentlichen Schwall Wasser aufs Notizbuch.
Sie ließ es fallen, und die Blätter fingen an zu schäumen und lösten sich auf und rutschten als milchige Soße durch den Abfluß. Was mach ich denn jetzt? Elektra weinte fast. Ich habe jetzt von den Prudenten keine einzige Notiz mehr. Ich muß das nun alles umständlich aus me i nem Gedächtnis hervorholen.
Die vielen Einzelnotizen, wo wir von den Prudenten noch nichts g e sehen haben und nichts über sie wissen, brauchst du nicht. Wir müssen uns erst mal über sie klarwerden. Dazu müssen wir mit ihnen Kontakt aufnehmen. Mal eine Nacht quasseln, einen heben, mal mitfummeln bei ihrer Arbeit, mit ihnen ein bißchen leben, dann erst können wir uns einen Begriff von ihnen machen. Vielleicht kennen wir sie dann so gut, daß wir keine dicken Notizbücher über sie anlegen müssen. Mir gefällt deine Methode nicht. Hoffentlich hast du nicht schon über mich, wä h rend ich in der Kapsel schlief, Notizbücher vollgeschrieben. Darauf entgegnete sie nichts, aber sie sagte, einen Begriff kann ich mir von ihnen schon machen. Es sind Snobs. Sie haben zerstörerische Neigu n gen, sie müssen alles niederziehen. Wie sie über die Erde sprachen! Die abgelatschte Kugel! Ich bitte dich, Merkur, sie haben sie nie gesehen und nie betreten und reden so. Und die Bilder von uns, die sie ans Glas geschmiert haben, also, das macht man nicht, wenn man Besuch hat. Und wie sie Sonnenblume über den Mund fuhren. Und dich nannten sie einen Insassen der Heldenrubrik.
Na und, sagte ich, du bist doch auch nicht für den Heldenrummel.
Bei mir ist das etwas anderes, sagte Elektra, aber sie haben kein Recht, sich über uns zu mokieren.
Aber wir haben ein Recht, wolltest du sagen.
Sie benehmen sich furchtbar, sagte Elektra. Dauernd stritten sie So n nenblume etwas ab. Und woher haben sie die guten Informationen?
Sie haben eben ein Horchgerät auf unsere Kapsel angesetzt, während wir flogen, oder haben sie, während sie im Schuppen steht, ferndurc h leuchtet, sagte ich.
Aber Sonnenblume behauptete doch…, sagte Elektra.
Meinst du, wir können Sonnenblume mehr glauben als ihnen?
Ich habe ihn bis jetzt nur als korrekt und hilfsbereit und sehr anstä n dig kennengelernt, sagte Elektra.
Aber ich glaube erst mal allen beiden oder allen beiden nicht. Ich glaube nichts. Ich höre und sehe einfach. Manchmal denke ich ein bi ß chen. Aber wenn ich daran denke, wie schon vor unserem Abflug So n nenblume uns auf diese unheimlichen Erscheinungsformen vorbereitet hat, bin ich jetzt enttäuscht. Ich finde sie gar nicht so schlimm. Und wenn ich ehrlich sein soll, sie sind mir sogar ein bißchen sympathisch.
Das ist bei dir so, sagte Elektra, weil du bei abstrakter Beschreibung gleich phantastische, konkrete Bilder vor dir siehst. Deshalb bist du, wenn du mit der Wirklichkeit konfrontiert wirst, nicht objektiv, nicht mehr unbefangen. Das ist eben dein großes Handikap, Merkur. Du hast dir diese Erscheinungsformen des Lebens als ekelhafte Horrorinsekten vorgestellt. Und nun siehst du menschenförmige Wesen, und obwohl sie von uns widerliche Bilder schmieren, bist du angenehm enttäuscht.
Die Bilder fand ich auch blöd, sagte ich, aber daß sie das überhaupt machten – und mit welcher Geschwindigkeit. Obwohl sie mich vol l kommen falsch dargestellt haben, finde ich ihre Art interessant. Das bedeutet ja nicht, daß ich sie vor Begeisterung
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