Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
niemals die Intensität einer konzentrierten Essenz erlangen kann.
Ganz für sich allein, als Roman und auch als Teil der Literatur des Schreckens, steht das berühmte Werk WUTHERING HEIGHTS (1847)
von Emily Bronte, das uns wahnsinnige Ausblicke gewährt auf die rauen, windgepeitschten Moore von Yorkshire und die zerstörerischen, entstellten Menschenleben, die dort gedeihen. Wird auch vor allem vom Leben und den menschlichen Leidenschaften in Qual und Widerstreit erzählt, so bietet der episch-kosmische Schauplatz des Romans doch Raum für ein zutiefst geistigseelisches Grauen. Heathcliff, eine Abwandlung des Byronschen Schurken-Helden, ist ein fremder, dunkler Findling, der, als kleiner Junge von der Straße aufgelesen, nur seltsames Kauderwelsch spricht, bis er von der Familie adoptiert wird, die er letzten Endes zerstört. Dass er in Wahrheit eher ein diabolischer Geist ist als ein menschliches Wesen, wird mehr als einmal angedeutet; und die Sphäre des Unwirklichen rückt uns noch näher in dem Erlebnis eines Besuchers, der an einem von Zweigen berührten oberen Fenster dem klagenden Geist eines Kindes begegnet. Zwischen Heathcliff und Catherine Earnshaw besteht eine Bindung, die tiefer reicht und schrecklicher ist als menschliche Liebe. Nach ihrem Tod stört er zweimal ihre Grabesruhe, und er wird von einem ungreifbaren Wesen heimgesucht, das nichts anderes sein kann als ihr Geist. Dieser Geist dringt immer mehr in sein Leben ein, bis Heathcliff schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass er eine mystische Wiedervereinigung mit Catherine erwarten dürfe. Er sagt er fühle wie eine seltsame Veränderung sich nähere, und nimmt keine Nahrung mehr zu sich. Nachts geht er entweder im Freien spazieren oder öffnet das Fenster neben seinem Bett. Als er stirbt, steht das Fenster noch offen und bewegt sich im prasselnden Regen, und ein seltsames Lächeln zieht über sein erstarrtes Antlitz. Man beerdigt ihn in einem Grab neben der Gruft, die er achtzehn Jahre lang immer wieder besucht hat, und Hirtenknaben erzählen, dass er immer noch mit seiner Catherine auf dem Friedhof und auf dem Moor spazieren geht, wenn es regnet. Auch sind ihre Gesichter manchmal in Regennächten hinter jenem oberen Fensterflügel des Hauses Wuthering Heights zu sehen. Miss Brontes grausiger Schrecken ist kein bloßes Echo der »gotischen« Schauerromantik, sondern gibt vielmehr der schaudernden Reaktion des Menschen auf das Unbekannte spannungsreichen Ausdruck. In dieser Hinsicht wird WUTHERING HEIGHTS zum Symbol des literarischen Übergangs und bezeichnet das Entstehen einer neuen und triftigeren literarischen Bewegung.
6. PHANTASTISCHE LITERATUR AUF DEM KONTINENT
Gut erging es der Literatur des Grauens auf dem europäischen Kontinent. Die berühmten Erzählungen und Romane von Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann (1776-1822) sind der Inbegriff für fein abgestimmten Hintergrund und formale Reife, obwohl sie zu Leichtfertigkeit und Extravaganz neigen und es ihnen an jenen exaltierten Augenblicken des reinen, atemlosen Schreckens mangelt, die einem weniger raffinierten Autor womöglich gelungen wären. Im allgemeinen drückt sich in ihnen eher das Groteske statt des Schrecklichen aus. Die künstlerischste von allen unheimlichen Geschichten des europäischen Kontinents ist der deutsche Klassiker UNDINE (1811) von Friedrich Heinrich Karl Baron de la Motte Fouque. Diese Geschichte eines weiblichen Wassergeistes, der einen Sterblichen heiratete und eine menschliche Seele erhielt, wird mit einer empfindlichen Feinheit handwerklichen Könnens erzählt, die sie zu einem bemerkenswerten Werk in jeder literarischen Schublade macht, und ihre mühelose Natürlichkeit rückt sie in die Nähe echter Volksmythen. Die Idee stammt auch in der Tat aus einer Geschichte, die Paracelsus, Arzt und Alchemist der Renaissance, in seiner Abhandlung über Elementargeister erzählt.
Undine, Tochter eines mächtigen Wasserfürsten, ward von ihrem Vater mit der Tochter von Fischersleuten vertauscht, damit sie eine Seele erhalte, und zwar durch die Heirat mit einem Menschen. Sie lernt den edlen jungen Ritter Huldbrand in der Hütte ihrer S tief eitern kennen, die sich am Meer und am Rande eines verwunschenen Waldes befindet, heiratet ihn bald und begleitet ihn auf das elterliche Schloss Ringstetten. Huldbrand jedoch wird der übernatürlichen Verbindung seiner Frau bald überdrüssig, besonders der Erscheinungen ihres Onkels, des mutwilligen Wald- und Wassergeistes
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