Unirdische Visionen
meine Stimmung wieder. Züge mit großen, weichbereiften Waggons fuhren vorbei. Um Verstopfung zu vermeiden, erledigte man einen großen Teil des Frachtverkehrs wie auf der Erde bei Nacht.
Wir hatten uns schnell an den Sternen orientiert. Die Sternbilder waren ja dieselben. Als der nächste Zug kam, schwangen wir uns mit der Leichtigkeit, die uns die auf dem Mars herrschende Schwerkraft gab, hinauf. Wir versteckten uns hinter einer dickwandigen Plane.
Die Richtung stimmte. Ich erkannte sogar die Plakate, die hier als Straßenschilder dienen mußten.
Als wir schon von weitem die Flutlichter sahen, die unser Schiff in blendende Helligkeit tauchten, sank uns der Mut vollkommen. Ich fühlte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Sollten wir zurück, von wo wir gekommen waren? Auf freiem Feld konnten wir uns nur so lange halten, wie unser Sauerstoffvorrat reichte.
Plötzlich fiel mir ein absurder Gedanke ein. Unser Verlies war nicht bewacht gewesen! Und die Flucht so leicht! Den anderen schien derselbe Gedanke gekommen zu sein.
Wir sprangen von dem fahrenden Zug ab und bewegten uns unter Aufbietung aller Willenskraft auf die Rakete zu.
*
Schritt für Schritt näherten wir uns dem Schiff. Die uns regungslos anstarrende Horde Marsianer ließ mir das Blut in den Adern gerinnen. Wahrscheinlich war ihnen unsere Flucht gemeldet worden, und sie hatten mit unserem Erscheinen gerechnet.
Aufkommende Panik und Vernunft hielten sich die Balance. Die Horde wich vor uns zurück, und wir gelangten ungeschoren zu der offenen Luftschleuse.
Unsere Kabine war restlos ausgeplündert. Alles, was sich abmontieren ließ, war verschwunden.
»Miller’s Strategie der Passivität hat sich zum erstenmal bewährt«, keuchte Craig. »Scheint sich herumgesprochen zu haben, daß wir nichts Böses im Sinn haben. Und sie haben es ebenfalls nicht.«
Ich atmete erlöst auf. Fühlten die Marsianer dieselbe brennende Neugierde, denselben Wissensdurst? Übte die Raumfahrt dieselbe Faszination aus? Offensichtlich legten sie auf freundliche, interplanetarische Beziehungen Wert. Sie waren in der Lage, ihre Instinkte diesem Ziel unterzuordnen.
Bei Einbruch der Dämmerung hämmerte Miller an eine Sichtluke. Sie hatten ihn herausgebracht. Es erstaunte uns nicht mehr.
Etl landete am nächsten Morgen in einer Art Flugzeug neben dem Schiff. Seine Augenstiele hätte ich überall erkannt. In den Tentakeln hatte er seinen Sprechzylinder.
»Hallo«, begrüßte er uns. »Ich sehe, ihr habt eure Tests fast so gut bestanden wie ich die eurigen.«
»Das waren also Tests?« fragte ich.
»Natürlich. Ansonsten wäre ich euch doch zu Hilfe gekommen.«
»Wie haben sie dich behandelt?« wollte Miller wissen.
»Die meisten waren sehr nett zu mir. Sie nahmen mich mit in eine große Wüstenstadt. Die Hauptstadt des Mars. Es ist eine Oase, wo eine Menge Kanäle ineinander münden. Die Kanäle bestätigen eine alte Theorie eurer Astronomen. Sie bilden bewässerte Vegetationsstreifen. Das Wasser wird hochgepumpt. Ich suchte meine Leute von eurer Harmlosigkeit zu überzeugen. Aber die habt ihr ja selbst bewiesen.«
Ich erkundigte mich nach Etls Plänen. Ob er bleiben wollte? Ich hatte angenommen, daß er nicht mit uns zurückwollte. Es war natürlich. Vielleicht spürte ich sogar eine gewisse Entfremdung bei ihm, ein sich Zurückziehen. Nicht unfreundlich, aber … wir wußten beide, daß sich unsere Wege trennten.
»Ist auch am besten so für das, was wir vorhaben, Nolan. Außerdem gefällt es mir hier. Ich besuche die Erde von Zeit zu Zeit, so wie ihr heraufkommt. Ich danke für alles.«
»Ich verlängere meinen Aufenthalt noch ein bißchen«, meinte Miller. »Wenn sie mich dabehalten! Mit Etls Hilfe kann ich viel lernen.«
*
Wir blieben noch zwei Tage. Machten Tausende von Bildern, stellten Meßgeräte auf und sammelten Gesteinsproben. Sie überhäuften uns mit Werkzeugen und einfacheren Geräten. Alte Jadestücke, wundervoll geschnitzt, schenkten sie uns. Unseren Start zum Rückflug beobachteten sie interessiert, wenn auch an ihren Mienen ein gewisser Argwohn abzulesen war.
Mein Bild von Alice, Patty und Ron war einem lokalen Souvenirjäger zum Opfer gefallen. Aber ich würde sie wiedersehen …
Das freundliche Einvernehmen zwischen Erde und Mars kann natürlich durch einen groben Fehler, entweder von seiten der Erde oder vom Mars, gefährdet werden. Aber der Anfang ist gemacht.
Damon Knight
DIO, DER PLANER
Der gewöhnliche
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