Unirdische Visionen
uns in die Nacht hinaus, um einen Hügel herum und luden uns auf eine Metallfläche. Unter uns setzte sich ein Gefährt zockelnd in Bewegung. Die Natur seines Mechanismus wurde nur durch eine kleine Stichflamme angedeutet.
Die Marsianer hielten uns flach auf den Boden gepreßt. Ab und zu drückten sie die Nervenenden ihrer Tentakel aneinander. Andere tschirpten oder tuteten.
Unter dem Licht des Phobos rollten wir auf der Straße entlang. Wir passierten die verschwommenen Umrisse von Gebäuden. Lichter blendeten mich, und schon waren wir vorbei. In einem Taleinschnitt schob sich dichter, vielschichtiger Nebel zwischen mich und die Lichter. Mit seltsamer Distanz, als ob mich das gar nichts anginge, bemerkte ich, daß der Nebel aus winzigen Eiskristallen bestand, die im Licht der fremdartigen Lampen schimmerten. Ich versuchte, mir unsere Route einzuprägen. Ich wußte, daß sie nach Osten ging. Stampfen und Gezisch drang an mein Ohr; vielleicht Fabrikgeräusche.
Einmal fragte Miller: »Ist jedermann okay?«
»Sicher.« Die Antworten klangen nicht allzu überzeugend.
»Mehr oder weniger, wenn mich nicht noch der Herzschlag trifft«, brachte Craig mühsam heraus.
Dann fuhren wir in einen langen, schräg nach unten führenden Tunnel, von dessen weißgekachelten Wänden ein sanftes Licht auszustrahlen schien. Meine Aufnahmefähigkeit ließ ein wenig nach. Mein Verstand zog sich in sich selbst zurück, wie eine Taube, die den Kopf ins Gefieder steckt. In diesem Zustand der Halbbewußtheit quälten mich alptraumähnliche Vorstellungen. Ich war eine wehrlose Raupe, die in die Tiefen eines Ameisenhügels gezerrt wurde.
Aber eine Raupe gehörte noch eher in einen Ameisenhügel als wir in die unterirdischen Kaninchengänge, in die wir nun fuhren. Sie verengten sich auf einen Durchmesser von knapp zwei Metern; wir wurden abgeladen und vorwärts gezogen. Die meisten Gänge waren gekachelt, aber bei manchen bestanden die Wände auch aus nacktem Fels. Zweimal kamen wir durch eine Luftschleuse.
Ich behielt nicht viel von dem, was ich in diesem Kaninchenbau sah oder hörte. An einer Stelle glühte es weiß auf und Räder griffen ineinander. In einem großen Raum mit niedriger Decke, von künstlichen Sonnenstrahlen erhellt, blühten merkwürdige Blumen. Die Architektur der Stadt trug keinen puren Nützlichkeitscharakter und war nicht unschön. Ich sah noch eine Menge, aber mein Verstand funktionierte nicht mehr richtig; die Wirkung des Schocks und der Übermüdung.
Ich weiß, daß wir an einem Raum vorbeikamen, an dessen Wänden bis unter die Decke voneinander abgeteilte Kästen angebracht waren, in denen sich Schlammkugeln befanden. Ohne Zweifel, ein marsianischer Brutkasten.
Einige Minuten später wurden meine Gefährten und ich in ein Verlies geschubst, das hoch genug war, um uns das Stehen zu erlauben. Die Marsianer ließen uns allein. Wir streckten uns, das Gesicht nach unten, auf dem Boden aus. Wir waren mit unserer Nervenkraft am Ende.
Ich glitt in das Koma der Erschöpfung. Mein überanstrengtes Gehirn gaukelte mir die Nähe Alice’s und der Kinder vor; ich wähnte mich zu Hause.
Wieder halbwach, stieß ich wilde Flüche und Verwünschungen hervor. Was für hirnverbrannte Idioten wir doch waren! Hätten wir uns doch wenigstens gewehrt! Einen schnellen Tod hätte ich unserer jetzigen Lage entschieden vorgezogen.
Nun opferten wir uns wie Lämmer auf dem Altar der unrealistischen Idee, daß die Einwohner zweier fremder Planeten sich befreunden, Handels- und Kulturaustausch betreiben könnten. Wie konnten Marsianer, die aus einem Schlammklumpen krochen, auch nur menschenähnlich sein?
In der Wand befanden sich kristallverglaste Spione. Wurden wir immer noch beobachtet?
*
Während wir geschlafen hatten, war der Eingang mit einer runden Glasscheibe verschlossen worden. Durch Bodenventile pumpte eine Pumpe geräuschvoll Luft in unser Gefängnis.
Miller nahm seine Sauerstoffmaske ab. »Nun, Nolan, die nächste Parallele. Wir haben Etl auch in einem Käfig am Leben gehalten.«
Man hätte es als entgegenkommend, als einen Beweis freundlicher Gesinnung auffassen können. Ich kam mir allerdings wie ein Schaustück im Zoo vor. In Etls Fall lagen die Umstände anders. Das erste Ding, das er im Leben kannte, war ein Käfig.
Ich entfernte ebenfalls meine Maske; vor allem, um den Luftreiniger zu schonen, den ich bald – auf der Flucht – nötig zu haben hoffte.
»Machen Sie kein so hoffnungsloses Gesicht, Nolan«,
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