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Unirdische Visionen

Unirdische Visionen

Titel: Unirdische Visionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Groff Conklin
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kann doch gar nicht sein.«
    »Ist mir ja gleich, aber er blutete.« Niemand hört Katha zu, aber das ist sie gewöhnt.
    »Los, herkommen«, ruft Mark. »Den nicht, aber den nächsten.«
    Der Brecher rollt drohend heran. Nervös lachen sie ihm entgegen. Als er sich gischtend vom Felsen heruntergießt, reiten die Unsterblichen hoch auf dem weißen Sturzbach, jauchzend vor Freude.
     
    *
     
    Dio geht unruhig auf dem elastischen Boden seines leeren Zimmers auf und ab. Er bleibt stehen, ein Spiegel erscheint auf der leeren Wand. Er betrachtet eindringlich sein graues Gesicht. Dann löscht er mit einer Handbewegung den Spiegel wieder aus.
    Der Zeitstreifen auf der Wand ist fast schwarz; der Tag neigt sich seinem Ende zu. Den ganzen Nachmittag war er hier allein. Seine Telefonanlage weist jeden Anrufer zurück, sogar Claire.
    Er hat nur ein Verlangen – sich zu verkriechen.
    Der gelbe Tuchstreifen, den er sich um den verletzten Finger gebunden hat, ist von Blut durchtränkt. Endlich hat die Blutung aufgehört. Es stimmt etwas nicht mit ihm; aber was sollte nicht stimmen?
    Seit Tagen hat er es kommen gefühlt. Unsichtbar, ihn in die Enge treibend. Jetzt ist es da.
    Acht Stunden, und der Finger ist noch nicht vollständig verheilt!
    Sein Herz donnert gegen seine Rippen. Ihm ist schwindelig, kalter Schweiß bedeckt ihn … Hilfe; er braucht Hilfe. Unter seinen zitternden Fingern glüht der Telephonindex auf. Er findet Claires Namen, drückt auf den Selektor. Vielleicht ist sie ausgegangen, aber das Selektronenregister wird sie auftreiben. Der Schirm wabert. Er wartet. Claire wird ihm helfen, ihr wird etwas einfallen!
    Der Schirm leuchtet auf, aber es ist nur das neutrale, graue Gesicht des Autosek. »Einen Augenblick, bitte.«
    Der Schirm flimmert. Endlich Claires Gesicht!
    »… es tut mir leid, Dio. Aber als ich dich anrief, nachdem ich ununterbrochen gewartet hatte, nahm deine Anlage keine Anrufe entgegen. Ich bin verletzt, Dio. Wie viel du zu tun hast, weiß ich, aber… Piet hat mich aufgefordert, mit nach Toria zu kommen, und ich gehe. Vielleicht bleibe ich ein paar Wochen wegen des Blumenfestivals oder ich gehe nach Rom. Wirklich, Dio, es hat so wunderschön mit uns angefangen; kann sein, daß die Klassen wirklich nicht zusammenpassen. Tschau, Dio.«
    Der Schirm verdunkelt sich. »Geh nicht, bitte, geh nicht«, stößt Dio atemlos hervor. Beschämt senkt er den Kopf. Heiße, salzige Tränen fallen auf seine Hand.
    Der Raum ist weit und leer, aber in seinen Ecken lauert die Dunkelheit, bereit, vorzupreschen.
     
    *
     
    Wie ein farbenprächtiger, träger Fluß schiebt sich die Menge durch die Straßen von Sektor zwanzig. Blumenduft steigt aus den Falten der losen Gewänder. Die Luft schwirrt von den Stimmen und dem Gelächter. Von ihrem fünfmonatigen Trip durch Afrika, Pazifikia und Europa zurück, läßt sich Claire glücklich in der Woge treiben. Wo die Hauptstraße war, hat jetzt ein Gewirr von verwinkelten Gassen den Korso abgelöst. Die Ausflugswagen sind elegante, kleine Körbe aus filigranzartem Stahl, die anmutig schaukelnd auf die Fußgänger warten. Sie besteigt einen und schwebt an einer weitgeschwungenen Kurve von Fenstern vorbei. Vorbei an Terrassen und Baikonen. Eine Frau füttert einen großen, blauen Papagei. Zwei Kinder auf einem Dachgarten blicken ihr nach; mit versonnenen Augen und gelbem, struppigem Haar wie Löwenzahn. Wie lange hat sie schon kein Kind mehr gesehen? Sie versucht, sich vorzustellen, wie es sein muß, in dieser Welt von Erwachsenen ein Kind zu sein. Es gelingt ihr nicht recht. Ihre eigene Kindheit liegt so weit zurück. Ein Paar küßt sich selbstvergessen … Ihr Herz schlägt ein bißchen schneller. Sie fühlt, wie ihr die Röte in die Wangen steigt. Mit Piet hatte sie sich bald zu Tode gelangweilt. Sie möchte ihn nun vergessen. Ach was, sie hat ihn ja schon vergessen. »Dio, Dio, Dio«, summt sie vor sich hin. Auf der nächsten Ebene steigt sie aus und nimmt sich ein Robottaxi. Sie locht Dios Namen. Der kleine, grünäugige Fahrer »schnüffelt« für einen Moment, flakkert; dann schwingt das Taxi zielstrebig herum und beschleunigt die Geschwindigkeit.
    Das Gebäude ist nicht wiederzuerkennen. Die vormals weiße Straße prunkt in rosa und lindgrünen Barockfassaden. Die Form des Vorraumes ist allerdings dieselbe, und da ist Dios Namenschild.
    Sie zögert einen Augenblick, beäugt den Aufzugschacht, dreht sich dann um und nimmt einen zerbrechlichen Silberstuhl aus der Reihe. Sie

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