Universum der Doppelgänger
hob.
»Nicht schießen, du Idiot!« schrie Lorenzo. »Du ruinierst die Seidentapeten!« Während der verwirrte Wächter noch blinzelte, trafen ihn zwei Keulen, und er ging zu Boden. Donnernd entlud sich die Büchse und feuerte eine Ladung Hackblei in den Blumenstuck der Decke. Sie schnauften weiter zum nächsthöheren Geschoß, rannten durch einen mit dicken Teppichen belegten Flur, der glücklicherweise frei von Wächtern war, und kamen an die Tür, an die sich Lafayette von seinem letzten. Besuch erinnerte. Das Kampfgetöse war hier oben nur noch gedämpft vernehmbar. Sie machten halt und verschnauften.
»Laß mich jetzt das Reden besorgen, Lorenzo«, keuchte Lafayette. »Rodolfo und ich sind alte Saufkumpane …«
Zehn Schritte weiter flog eine Tür auf; flankiert von vier athletischen Kerlen in roten Uniformröcken, stolzierte Goruble/Krupkin heraus, wandte sich halb um und sagte über die Schulter: »Das ist ein Befehl, kein Vorschlag, Rudi! In einer halben Stunde erwarte ich dich mit deinen Ministern im Großen Ballsaal. Dort wirst du Mobilmachung, Ausgangssperre, Lebensmittelrationierung und die Proklamation des Kriegsrechts verkünden und unterzeichnen, oder deine Leute werden dich noch heute über dem Hauptportal deines eigenen Schlosses baumeln sehen!«
Der vormalige Usurpator von Artesia zupfte an seinem hermelingesäumten Umhang und schritt durch den Korridor davon, gefolgt von seiner Leibwache.
»Soviel für Rodolfos Hilfe«, murmelte Lorenzo. »Hast du eine bessere Idee?«
Lafayette benagte seine Unterlippe. »Weißt du, wo dieser Ballsaal ist?«
»Eine Etage über uns, im Südflügel«, sagte Lorenzo. »Aber wir sollten in der Zwischenzeit Beverleys Zimmer ausfindig machen. Dann können wir sie ‘rausholen, während die großen Tiere Politik spielen.«
»Nein, mein Lieber«, widersprach Lafayette. »Ich habe Gründe, anzunehmen, daß Daph…, ich meine, Gräfin Andragorre im Ballsaal sein wird, und Swinhild mit ihr. Das gehört alles zu Gorubles großem Plan. Wir müssen ihn jetzt stoppen, bevor er die Dinge weiter vorantreiben kann.«
»Wie? Wir sind bloß zwei. Was können wir gegen einen ganzen Palast voll bewaffneter Männer tun?«
»Ich weiß es nicht – aber wir müssen es versuchen! Komm! Wenn ein Weg ungangbar ist, müssen wir einen anderen finden! Und die Zeit arbeitet gegen uns.«
Fünfundzwanzig von den dreißig Minuten waren verstrichen – Lafayette und Lorenzo kauerten auf dem Palastdach, zehn Meter über den hohen Fenstern des Ballsaals. Das vielstimmige Murmeln nervöser Konversation drang bereits aus dem Raum, wo große Ereignisse bevorstanden, zu ihnen herauf.
»Ich glaube, es wird Zeit«, sagte Lafayette. »Wer geht zuerst, du oder ich?«
»Wir werden das nicht überleben«, sagte Lorenzo, verzagt über die kupferne Dachrinne in die Tiefe spähend. »Das Gesims hat einen Oberhang von einem Meter oder so. Es ist unmöglich.«
»Gut, dann gehe ich zuerst. Sollte ich …« Lafayette mußte schlucken. »Sollte ich fallen, machst du weiter, wo ich aufgehört habe.« Er ließ die Beine über den Rand der Dachrinne hinab und begann den Rest seines Körpers nachzuschieben, sorgfältig bemüht, jeden Blick in die Tiefe zu vermeiden.
»Warte!« sagte Lorenzo. »Diese Kante sieht scharf aus. Sie könnte das Seil durchwetzen. Wir müssen sie polstern …«
Lafayette kroch auf das Dach zurück. »Hier, nehmen wir meinen Rock.« Er zog ihn aus, faltete ihn und stopfte ihn in die Dachrinne und unter das Seil, das sie auf dem Speicher gefunden hatten. Dann ließ er sich wieder über die Kante, umklammerte das Seil, biß die Zähne zusammen und glitt abwärts in die Dunkelheit.
Mit schmerzenden Armen, einem pulsierenden Beben in seinem Magen und dem Bewußtsein bodenloser Abgründe, die unter ihm gähnten, ließ Lafayette sich die letzten Meter hinab und baumelte schließlich vor einem zwei Meter breiten Mauerpfeiler zwischen zwei Fenstern. Aus dem Saal kam das unruhige Murmeln von Stimmen.
»Sst! Alles klar?« zischte Lorenzo von oben. Lafayette verdrehte den Hals und spähte aufwärts, konnte aber nichts sehen als die dunkle Masse des überhängenden Gesimses.
Im Saal schmetterten Fanfaren. Höflicher, nicht allzu enthusiastischer Applaus folgte, und dann wurde eine sonore Stimme hörbar, die irgend etwas verkündete. Nach kurzer Stille ließ sich Fürst Rodolfos schnarrende Stimme undeutlich vernehmen:
»… hier versammelt … diesem glücklichen Anlaß … Ehre und Freude
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