Unnatural History
gepflasterten Platz vor dem Opernhaus spazierten.
»Ungefähr so erquickend wie das Essen zuvor«, antwortete Ulysses bissig.
»So schrecklich?«
Bartholomew lachte laut auf. Er wirkte erheblich entspannter, als er es während des Dinners gewesen war. Die beiden doppelten Whiskys in der Pause hatten natürlich ihren Teil dazu beigetragen.
»Unter Umständen doch nicht ganz so schlecht. Obgleich meiner Meinung nach der Charakter einer heiratsfähigen japanischen Geisha nicht wirklich von einer Sopranistin gehobenen Alters dargestellt werden sollte, die den Körperbau eines Sumo-Ringers hat, abgesehen von der dazu passenden Körperbehaarung.«
Sein Bruder lachte herzlich auf. »Ich verstehe, was du meinst. Und der ungestüme junge Leutnant sah aus, als ob er völlig außer Atem einem Bus hinterher geflitzt wäre.«
»Da stimme ich dir zu, Barty, alter Knabe.«
»Gibt es denn wirklich jemanden, der die Oper genießt ?«
»Nein, das glaube ich nicht. Es gehört nur zu den ermüdenden Dingen, die man tun muss, um in der höfischen Gesellschaft anerkannt zu werden – ähnlich dem Zupfen der Augenbrauen oder einem Zahnarztbesuch. Ich partizipiere lediglich an solchen Veranstaltungen, weil sie Teil unseres sozialen Lebensstandes sind und es gut für uns ist, dabei gesehen zu werden. Ich wollte dorthin – ich war ewig nicht mehr dort – um mir selbst wieder vor Augen zu führen, wie schrecklich es doch ist. Und natürlich lieben es die Damen! Nun denn, wollen wir auf einen Nachttrunk zu mir? Nimrod sollte den Phantom hier irgendwo geparkt haben.«
»Gern, warum nicht? «
Die Warnung aus dem Unterbewusstsein barst wie ein Lichtblitz in seinem Gehirn, im selben Moment, als der Schuss erklang. Sein Echo hallte gleich einem Donnerschlag von den nahestehenden Häusern wider, die das Karree säumten. Er hatte keine wirkliche Idee, von woher die Bedrohung kommen mochte, nur, dass er von hier fort musste. Ulysses taumelte zur Seite. Ein zweiter Schuss fiel. Barty keuchte auf, als ob man ihn in eisiges Wasser geworfen hätte. Er sank nach vorn und Ulysses fing ihn auf, hinderte ihn daran, zu fallen, ehe er mit dem Gesicht auf die Pflastersteine prallen konnte.
»Barty? Barty!«, schrie er und ließ seinen Bruder zu Boden sinken. Nur schwach nahm er die Schreie und die Panik um sich herum wahr.
»I-ich wurde angeschossen«, keuchte Bartholomew. »Zum Henker, ich wurde angeschossen!« Hektisch schätzte Ulysses den Zustand seines Bruders ein, sich völlig der Tatsache bewusst, dass der Heckenschütze sie noch immer von irgendwo auf den Dächern beobachtete.
Ein Zittern durchfuhr Bartholomew, während Blut aus einem Loch auf Schulterhöhe in seinem Jackett quoll.
»Versuch, ruhig zu bleiben.« Ulysses senkte die Stimme, um seinem Bruder nicht noch mehr Angst zu machen.
»Ruhig bleiben? Ich wurde verflucht noch mal angeschossen!«
»Du stehst unter Schock.« Ulysses schlug seinen Mantel zurück und legte ihn über den Körper seines Bruders.
»Natürlich habe ich einen Schock. Das versuche ich dir doch zu sagen, das liegt verdammt noch mal an meiner Schusswunde.«
»Wenn du nicht sofort den Mund hältst, erschieße ich dich höchstpersönlich.«
Ulysses suchte die Spitzen der Dächer mit den Augen ab, versuchte, einen Blick auf irgendetwas zu erhaschen, das den möglichen Standort des Attentäters preisgeben würde – die Spiegelung eines Gewehrlaufes in einer der Straßenlampen, eine Veränderung in der Lichtreflexion, sollte der Schütze seine Position ändern – irgendetwas eben.
Bestimmt war die Kugel für ihn vorgesehen gewesen, da war er sich sicher. Allerdings, wenn man den Abschaum an zwielichtigen Bekanntschaften bedachte, mit denen sein Bruder sich umgab, und die Schulden mit einbezog, die er zweifellos angehäuft hatte, war es durchaus möglich, dass der Scharfschütze tatsächlich ihn im Visier gehabt hatte, doch Ulysses’ sechster Sinn hatte ihn vor der Gefahr gewarnt, der er ausgesetzt war.
Zwei Schüsse. Jemand, der ein Attentat verüben wollte, würde nicht mit nur zwei Patronen in der Kammer aufwarten. Er würde ein Nachladen nicht riskieren, sondern nach diesem Fehlversuch die Position aufgeben und verschwinden. Sicher war der Heckenschütze gerade dabei, seinen Fluchtplan in die Tat umzusetzen.
Ulysses hörte jemanden über das Kopfsteinpflaster auf sie zu rennen. Es war Nimrod.
»Ich hörte die Gewehrschüsse, Sir. Sind Sie wohlauf?«
»Ich schon, aber Barty wurde getroffen. Würdest
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