Unnatural History
Ulysses musste sich eingestehen, dass es ihn durchaus amüsierte, zuzusehen, wie sein Bruder sich wand.
Bartholomew kämpfte tatsächlich einige Momente mit sich selbst, um die richtigen Worte zu finden. Von draußen drangen die Geräusche des Tumults herein, der zur Abendstunde immer vor dem Savoy entstand, und füllten die Leere ihrer Schweigsamkeit.
Der Gastraum glich einem diffusen Meer aus dunstigem Lampenschein, in welchem die runden Tische des Lokals vereinzelt dümpelten. Einen Augenblick lang konnte sich Ulysses beinahe selbst weismachen, dass er in sein altes Leben mit ausgelassenen Abendveranstaltungen und skandalösen Partys zurückgekehrt war.
Er verbannte diese Erinnerungen aus seinem Geist. Es war, als lägen mehrere Leben zwischen ihm und dieser Vergangenheit. Abgesehen davon fühlte er eine Zwiespältigkeit, ein Gefühl von Rivalität, gleichermaßen gezielte Entschlossenheit und nervöse Vorfreude zur selben Zeit: Die Entschlossenheit, die es nötig machte, seinem Bruder gegenüberzutreten, und Nervosität bezüglich den Nachwirkungen, die das schwere Essen, das vor ihm stand, wohl auf seinen Körper haben würde. Seit er sich aus seinem Krankenbett erhoben hatte, war dies seine erste richtige Mahlzeit.
»Hör zu, ich habe überstürzt gehandelt. Ich bin mir dessen jetzt bewusst, aber du solltest dir auch darüber im Klaren sein, dass du uns für mehr als achtzehn Monate weder ein Wort noch irgendein Zeichen hast zukommen lassen. Natürlich dachte ich, du wärst tot. Die ganze verdammte Welt dachte, du wärst tot. Hättest du gewollt, dass ich auf unbestimmte Zeit auf deine Rückkehr warte?«
»Und was würdest du sagen, wenn ich deine ganz offensichtlich rhetorisch gestellte Frage mit einem ›ja‹ beantworten würde?«
»Ich würde antworten, dass du einen verdammen Dickschädel hast, genau wie damals, als wir noch Jungs waren und sich dir unsere Nanny in den Weg stellte, wenn du mal wieder deinen Kopf durchsetzen wolltest.«
Erneut saßen sich die beiden in vor Wut schäumender Stille gegenüber.
»Schau, wir sollten die Vergangenheit endlich ruhen lassen, nicht wahr?«, wagte Bartholomew einen Vorstoß, blickte aber doch der Tatsache ins Auge, dass es letztendlich an ihm allein liegen müsste, den Friedenszweig zu schwenken. Er hatte in seinem Leben häufiger Kreide gefressen, denn einen gerösteten Fasan. Er erhob sein Weinglas, als ob er einen Toast aussprechen wollte.
»Auf dich, hm, Ulysses? Schwamm drüber?«
Nur widerstrebend erhob auch Ulysses sein Glas.
»Nein, auf uns, Barty, die Erben des geschätzten Familiennamens«, sagte er und kippte den Rest des Pinot Grigio auf Ex hinunter.
Der Tumult vor dem Savoy hallte erneut durch das Restaurant und die beiden Brüder beendeten ihren Hauptgang in weitaus erträglicherer Stille.
»Wie laufen die Geschäfte?«, fragte der Jüngere der beiden schließlich.
»Oh, wie immer. Ein täglicher Kampf auf Leben und Tod, wie du weißt. Was tut sich in der Welt der Ertragskonten, oh, und der Vermögensverwaltung?«
Bartholomews Blick begegnete dem seines Bruders mit Eiseskälte. ›Vermögensverwaltung‹ war durchaus kokett gemeint und die beschönigende Umschreibung für das zwanghafte Glücksspiel, welches zur Angewohnheit seines Bruders geworden und dessen sich Ulysses durchaus bewusst war. Ebenfalls war er darüber im Bilde, in welcherlei Situationen sich sein Bruder in den letzten Jahren „hineingezockt“ hatte, was zudem der Grund dafür war, weshalb er selbst die Überbleibsel des Familienvermögens mit Umsicht bewachte.
Ulysses begegnete dem Blick des jungen Mannes entspannt, und der seines Bruders welkte unter seinem trockenen und scharfen Blick wie gewohnt schnell dahin; er schien sogar plötzlich irgendetwas auf der Tischplatte zu entdecken, das seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
»Nun?«
»Oh, du weißt ja, wie es so ist.«
»Ja, das weiß ich allerdings. Hast du noch immer vor, die Hauptstadt in absehbarer Zeit zu verlassen, oder gar den Planeten?«
»Hmm, dafür werden die finanziellen Mittel wohl nicht ganz ausreichen.«
»Warum nur überrascht mich das nicht.«
Ulysses Worte klangen vernichtend. Er schüttelte enttäuscht den Kopf über die Misswirtschaft seines nichtsnutzigen Bruders, die er mit seinem Anteil der Erbschaft betrieb.
»Ich hätte es nie zur Sprache gebracht«, sagte Barty mit dem altbekannten, unvorteilhaften und bettelnden Gejammer, das sich in solchen Situationen in seine Stimme schlich,
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