Unnatural History
sich ein Stier von einem Mann. Des Doktors aktuellstes klinisches Subjekt war bis zur Taille entkleidet worden und zeigte somit einen Körper, der die wahrhaftige, unverhüllte Geschichte eines ungezügelten Lebens erzählte; ein Kunstwerk aus dunkelvioletten Blutergüssen, Tätowierungen und alten Narben. Der festgezurrte Gefangene wurde von ein paar Laborassistenten und zwei brutal aussehenden Krankenpflegern bewacht.
Sobald Wilde den Raum betreten hatte, wölbten sich die Muskeln des Häftlings, als er gegen die Lederriemen ankämpfte und sich in einem Schwall unchristlicher Beschimpfungen erging, welcher die etwas sensibleren der Gäste vor Grausen nach Luft schnappen ließ. Eine der Damen war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen.
»Ich reiß’ dir deine verfluchte Kehle auf und fress’ dein Herz, Wilde, du Bastard! Hörst du mich?«, brüllte der Insasse in einem starken Glasgower Akzent.
»Knebelt ihn!«, ordnete der Doktor harsch an.
Als zwei der Pfleger einen dicken, wattierten Knebel zwischen die Kiefer des Gefangenen stopften, konnten die aufgeschreckten Besucher überdeutlich sehen, dass die Zähne dieses Kerls so zugefeilt worden waren, dass sie wie Pfeilspitzen aussahen.
»Ladies und Gentlemen, bitte verzeihen Sie den Wutausbruch unseres Subjektes. Leider wissen nicht alle in dieser Einrichtung die Vorzüge unserer wunderbaren Arbeit zu schätzen, die wir hier verrichten. Das gilt vor allem für jene mit kriminellen Neigungen.«
Wilde spazierte an dem gefesselten Insassen vorbei, nahm einem Pfleger den Elektrostab ab und rammte die Spitze in die Rippen des Gefangenen.
Der Körper des Mannes zuckte heftig und der Ammoniakgestank von Urin breitete sich in der engen Kammer aus.
»Hochverehrte Gäste, lassen Sie mich Ihnen Ramsey ›The Shark‹ McCabe vorstellen. Serienkiller, Kannibale und somit, ehrlich gesagt, ein ausgesprochen dreckiges Exemplar. Ein anerkannter Soziopath, auf dessen Konto sechsundzwanzig Morde, Zerstückelungen und das Verschlingen von Körperteilen gehen.«
Eine morbide Faszination bannte die Gruppe, und sie teilten sich wie ein Fächer auf, damit auch alle einen freien Blick hatten.
›The Shark‹ begann erneut an seinen Fesseln zu zerren und gegen sie anzukämpfen, was die Traube der Besucher wieder zurückweichen ließ. Dennoch hatte er keine Möglichkeit, sich von der stählernen Platte zu befreien, genausowenig wie die Besucher jetzt noch umkehren konnten, aus Angst, zu verpassen, was mit dem Gefesselten als nächstes passieren würde.
»Wie Sie überdeutlich erkennen können, ist Mr. McCabe ein verrohter und gewalttätiger Mann, der bereits einige Jahre seiner lebenslangen Haftstrafe in dieser Einrichtung verbringen durfte, ohne die Chance auf eine Reduzierung seiner Strafe und zweifellos ohne die Möglichkeit einer Begnadigung. Ist das nicht so, Mr. McCabe?«
Wilde ging hinüber zu der Fesseleinrichtung und deutete auf das Eisenband, das um den Hals des Gefangenen gelegt worden war. Gerade als er das tat, drehte McCabe seinen Kopf zur Seite und dicke Venen traten an seinem Hals hervor, als würde er liebend gerne dem Doktor sein Gesicht abbeißen.
»Ebenso gut können Sie sehen, dass er bereits mit einem Kragen versehen wurde. Und nun, Ladies und Gentlemen, befürchte ich leider, dass wir für unser Experiment diesem Subjekt noch einmal den Knebels entfernen müssen. Wenn Sie bitte Ihre Ohren bedecken würden.«
Eine Metallbox, versehen mit allerlei Knöpfen und Schaltern und einer ellenlangen Antenne war unversehens in Wildes Hände gelangt. »Entfernen Sie den Knebel«, befahl er. Die Gesellschaft des Governors beobachtete das Geschehen mit entsetzter Faszination.
Sobald der Knebel herausgenommen worden war, setzte die Schimpftriade wieder ein: »Wilde, Sie Stück Scheiße, wenn ich hier raus bin, reiß‘ ich Ihnen den Kopf ab und schei-«
Wilde schnippte an einem Schalter seiner handlichen Erfindung. Der Schwall verbaler Abscheulichkeiten versiegte augenblicklich, als McCabe verstummte. Die Augen des Insassen wurden glasig, seine Gesichtszüge erschlafften und nahmen einen schwachsinnigen, beinahe zombieähnlichen Ausdruck an. Die versammelten Zuschauer schnappten nach Luft. »W-was ist mit ihm passiert?«, stammelte irgendjemand ungläubig.
»Ladies und Gentlemen«, erklärte der Zirkusdirektor , als er endlich das Glanzstück seiner Vorstellung präsentieren konnte, »nun ist das Subjekt absolut unter meiner Kontrolle. Ist es nicht so, Mr. McCabe?«
Ein
Weitere Kostenlose Bücher