Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Betäubungsmittel erfunden wurden, lehnten sich fromme Leute entschieden gegen ihre Anwendung auf, in der Überzeugung, dass Schmerzen gottgewollt seien und aus diesem Grunde nicht beseitigt werden dürften. Irgend jemand aber machte darauf aufmerksam, dass Adam in tiefen Schlaf versank, bevor ihm Gott die bewusste Rippe herausoperierte, womit als bewiesen gelten konnte, dass Männer einen Anspruch auf Betäubungsmittel haben; Frauen hingegen hatten weiter zu leiden – um des göttlichen Fluches willen, den Eva auf sich geladen hatte. In der westlichen Welt hat das Frauenstimmrecht mit dieser Ansicht aufgeräumt, wohingegen die japanischen Frauen ihre Kinder noch heute ohne jedes Betäubungsmittel zur Welt bringen müssen. Da die Japaner nicht an unsere Schöpfungsgeschichte glauben, muss irgendein anderer Grund für diesen Sadismus vorliegen.
Für die seit jeher beliebten Faseleien über »Rasse« und »Blut«, die von den Nationalsozialisten zum offiziellen Glaubensbekenntnis erhoben wurden, gibt es keine sachliche Rechtfertigung irgendwelcher Art. Sie werden als Wahrheiten hingenommen, weil sie dem Selbstgefühl schmeicheln und dem Hang zur Grausamkeit entgegenkommen. In der einen oder anderen Form hat es diese Trugschlüsse schon immer gegeben; sie sind so alt wie die Zivilisation. Sie mögen ihre äußeren Formen ändern, ihr Inhalt bleibt immer der gleiche.
Schon bei Herodot lesen wir von der Macht des Blutes; er erzählt, wie der Knabe Cyrus in völliger Unkenntnis seiner königlichen Abkunft von Hirten großgezogen wurde. Doch im Alter von zwölf Jahren zeigte er im Spiel mit gleichaltrigen Bauernjungen eine so königliche Haltung, dass die Wahrheit über seine hohe Geburt ans Licht kam – eine Variante der uralten Legende, der man in der Mythologie aller indoeuropäischen Völker begegnet. Selbst recht moderne Menschen hört man sagen, dass das Blut »sich verrät«. Vergeblich versuchen die Physiologen mit Hilfe wissenschaftlicher Beweise klarzumachen, dass es zwischen dem Blut eines Negers und dem eines Weißen keinen Unterschied gibt. Das Amerikanische Rote Kreuz bestimmte beim Eintritt der Vereinigten Staaten in den letzten Weltkrieg aus Rücksicht auf das allgemeine Vorurteil, dass für Bluttransfusionen kein Blut von Negern verwandt werden dürfe. Nach heftigen Protesten gegen diesen Beschluss gestattete das Rote Kreuz schließlich die Verwendung von Negerblut, aber nur für schwarze Patienten. Ähnlich war es in Deutschland, wo ein »arischer« Soldat auf keinen Fall mit jüdischem Blut »infiziert« werden durfte, wenn eine Bluttransfusion nötig war.
Der Rassengedanke äußert sich je nach der Staatsform in jedem Lande verschieden. Wo immer die Monarchie feste Wurzeln geschlagen hat, werden die Angehörigen des königlichen Geschlechts für wertvoller gehalten als ihre Untertanen. Noch bis in die jüngste Zeit hinein hat man allen Ernstes geglaubt, dass der Mann von Geburt intelligenter sei als die Frau. Selbst ein so aufgeklärter Geist wie Spinoza teilte diese Auffassung und ließ sich von ihr bewegen, gegen das Frauenstimmrecht Einspruch zu erheben.
Bei weißen Völkern gelten die farbigen Rassen – insbesondere die schwarze – noch heute als minderwertig, wogegen für die Japaner die gelbe Rasse die wertvollste ist. Auf Haiti werden Christusstatuen in Schwarz und Teufelsstatuen in Weiß gehalten. Aristoteles und Plato waren von der Überlegenheit der Griechen über die Barbaren so felsenfest überzeugt, dass sie die Sklaverei für durchaus gerechtfertigt hielten, sofern nur der Herr ein Grieche und der Sklave Barbar war. Die amerikanischen Einwanderungsgesetze ziehen Angehörige der nordischen Rasse den Slawen, Romanen oder anderen weißen Völkern vor. Der Nationalsozialismus dagegen war der Ansicht, dass es einwandfrei nordische Menschen fast nur noch in Deutschland gebe. Die Norweger hatten mit Ausnahme von Quisling und Genossen ihre Rasse durch Vermischung mit Finnen, Lappen oder ähnlich minderwertigen Elementen selbstverständlich längst verdorben. So wird die Politik zum Maßstab für den rassischen Wert und Unwert eines Menschen oder eines Volkes. Dass alle biologisch »reinen nordischen« Typen Hitler liebten, stand für die Nationalsozialisten außer Zweifel; wer es nicht tat, lieferte den Beweis, dass in seinen Adern unreines Blut floss.
Natürlich ist das alles blühender Unsinn, und jeder, der sich mit Rassenfragen näher befasst hat, weiß, dass es Unsinn ist. In
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