Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
diesem Alpdruck leiden.« Von Stund an war der Prediger geheilt. An der Rolle eines Sünders unter vielen lag ihm nichts; gerade das scheinbar Besondere, Einmalige seines Falles hatte er genossen.
Nicht alle Sünder sind so ausgesprochen egozentrisch. Aber die Theologen scheinen an dem Gedanken Gefallen zu finden, dass dem Menschen nicht nur Gottes ganz besondere Liebe, sondern auch sein furchtbarster Hass gilt. Wir brauchen uns nur zu erinnern, was Milton über Gottes Weisungen nach dem Sündenfall berichtet:
Zuerst erhielt die Sonne den Befehl,
So sich mit ihren Strahlen zu bewegen,
Dass sie der Erde Kält' und Hitze lieh,
Die kaum ertragbar, dass vom Norden sie
den Winter und vom Süd' den Sommer rufe.
Die Folgen mögen reichlich unangenehm gewesen sein. Dennoch muss sich Adam meiner Meinung nach recht geschmeichelt gefühlt haben, dass Gott, nur um ihn zur Räson zu bringen, ein so großartiges astronomisches Schauspiel in Szene gesetzt hatte. Die Theologie hält den Menschen für das wichtigste und bedeutendste Element des Universums, und da alle Theologen Menschen sind, ist diese Auffassung nirgendwo auf nennenswerten Widerstand gestoßen.
Als dann die Evolutionstheorie zur Mode wurde, nahm die Verherrlichung des Menschen neue Formen an. Man erklärte uns, die Evolution hätte nur dies eine große Ziel gehabt; durch all die Millionen Jahre, in denen es nur Urschleim und Fossilien gab, und ebenso später in den Zeitaltern der Dinosaurier und Riesenfarne, der wilden Bienen und Blumen habe Gott nur immer diesen grandiosen Höhepunkt seines Schöpfungswerkes vor Augen gehabt. Und als die Zeit gekommen war, schuf Gott den Menschen – einschließlich solcher Exemplare wie Nero und Caligula, Hitler und Mussolini, deren überirdische Herrlichkeit den langwierigen und mühevollen Vorbereitungsprozess allerdings vollauf rechtfertigt. Ich für mein Teil könnte eher an die ewige Verdammnis glauben, als an diese lächerlichste und lahmste aller Theorien vom Krönungswerk des Schöpfers, das wir als das Resultat seines letzten und höchsten Bemühens ansehen sollen. Weshalb übrigens »Bemühen«? Hat ein allmächtiger Gott es nötig, sich anzustrengen? Konnte er das glorreiche Endprodukt seiner Schöpfung nicht auch ohne einen so langwierigen und langweiligen Prolog zustande bringen?
Abgesehen davon, dass es fraglich scheint, ob der Mensch tatsächlich etwas so Herrliches ist, wie die Evolutionstheologen uns glauben machen wollen, sollte die zeitliche Begrenztheit des Lebens auf unserem Planeten zu denken geben. Über den Weltuntergang sind die verschiedensten Theorien im Umlauf. Nach der einen wird die Erde allmählich erkalten und vereisen, nach einer anderen verflüchtigt sich mit der Zeit die den Erdball umgebende schützende Lufthülle, eine dritte sagt Wassermangel voraus, und Sir James Jeans glaubt an eine Explosion der Sonne und prophezeit, dass alle Planeten sich in Gas verwandeln werden. Was von alledem geschehen und was zuerst geschehen wird, weiß niemand. Sicher ist nur, dass die Menschheit eines Tages aussterben wird. Natürlich hat diese Aussicht für die orthodoxen Theologen nichts sonderlich Erschreckendes, denn ihr Glaube an die Unsterblichkeit gibt ihnen ja die Gewissheit, dass der Mensch nach der Katastrophe auf Erden im Himmel beziehungsweise in der Hölle weiterexistieren wird. Weshalb macht man dann aber so viel Aufhebens von irdischen Vorgängen?
Eigendünkel ist nicht die einzige Ursache falscher Überzeugungen. Aus der Liebe zum Übernatürlichen und Wunderbaren entsteht zumindest ebensoviel Unheil.
Ich kannte einst einen wissenschaftlich interessierten Zauberkünstler, der seine Tricks immer nur einem kleinen Zuschauerkreis vorführte. Nach der Vorstellung nahm er sich jedes Mal die Teilnehmer einzeln vor und ließ jeden seine Beobachtungen niederschreiben. Das Resultat war in fast allen Fällen um vieles erstaunlicher als die eigentliche Leistung des Taschenspielers, die sich in der schriftlichen Darstellung der Zuschauer meist in ein Wunder verwandelte, das er auch bei größter Meisterschaft niemals hätte zustande bringen können. Trotzdem waren alle Beteiligten überzeugt, dass ihre Aufzeichnungen genau dem entsprachen, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten. Noch schlimmer wird die Verfälschung der Wahrheit, wenn es sich um Gerüchte handelt. A erzählt B, dass er am Abend zuvor den bekannten Anti-Alkoholiker X in leicht angeheitertem Zustand getroffen habe. B erzählt C,
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