Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Titel: Unpopuläre Betrachtungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
Vom Netzwerk:
amerikanischen Schulen werden Kinder der denkbar verschiedensten Abstammung nach dem gleichen, pädagogischen System unterrichtet und erzogen, und Intelligenzprüfungen haben einwandfrei ergeben, dass von Wertunterschieden im Sinne der von den Rassentheoretikern aufgestellten Behauptungen keine Rede sein kann. In jeder Völker-oder Rassengruppe gibt es intelligente und dumme Kinder. Zwar werden sich in den Vereinigten Staaten die geistigen Fähigkeiten farbiger Kinder wahrscheinlich nicht so vorteilhaft entwickeln wie die der weißen Kinder, weil selbst im heutigen Amerika noch ein gewisses Vorurteil gegen die farbige Rasse besteht; sobald man aber die natürliche Begabung von den Einflüssen der Umgebung scheidet und sie gesondert betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass es rassische Intelligenzunterschiede einfach nicht gibt. Der Begriff der Rassenüberlegenheit ist ein Mythos, entstanden aus der anmaßenden Selbstüberschätzung einiger weniger Machthaber. Vielleicht gibt es eines Tages überzeugendere Unterlagen; vielleicht sind die Pädagogen eines Tages in der Lage zu beweisen, dass Juden im Durchschnitt intelligenter seien als Angehörige anderer Völker. Bis jetzt aber existieren solche Beweise noch nicht, und alles Gerede von überlegenen Rassen ist Unsinn.
    Auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Europas angewandt, wird jede Rassentheorie vollends zur Groteske. Es gibt in Europa keine einzige »reine« Rasse. In den Adern der Russen fließt zum Teil tatarisches Blut, die Deutschen haben einen starken slawischen Einschlag, die Bevölkerung Frankreichs setzt sich aus Kelten, Germanen und Angehörigen der mediterranen Rasse zusammen. Desgleichen die Bevölkerung Italiens, deren Zusammensetzung noch erweitert wird durch die von den Römern eingeführten Sklaven. Das rassisch »unreinste« Volk sind vielleicht die Engländer. Und es liegt nicht der geringste Beweis vor, dass die Zugehörigkeit zu einer »reinen« Rasse irgendwelche Vorzüge mit sich bringt. Die reinsten heute noch existierenden Rassen bilden die Pygmäen, die Hottentotten und die australischen Ureinwohner (die vermutlich noch reineren Tasmanier sind ausgestorben), deren Kultur man als einigermaßen zurückgeblieben bezeichnen kann. Andererseits sind die Bewohner des alten Hellas aus der Verschmelzung zugewanderter nördlicher Barbaren mit Einheimischen hervorgegangen; die zivilisiertesten Griechen – Athener und lonier – waren die rassisch »unreinsten« Elemente. Wie man sieht, beruhen die angeblichen Vorzüge der Rassenreinheit auf purer Einbildung.
    Der Aberglauben vom Blut nimmt häufig Formen an, welche mit der eigentlichen Rassenidee nichts mehr zu tun haben. Allem Anschein nach ist der Mord ursprünglich deswegen verurteilt worden, weil nach religiöser Auffassung das Blut des Opfers den Ritus schändete.
    Gott sprach zu Kain: »Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde.« Nach Ansicht einiger Anthropologen sollte das Kainszeichen den Mörder lediglich vor dem rächenden Blut des Ermordeten verbergen – ähnlich wie man sich ursprünglich durch die Trauerkleidung nur den drohenden Übergriffen des Toten entziehen wollte. In vielen alten Lebensgemeinschaften wurde zwischen Mord und Totschlag kein Unterschied gemacht; in beiden Fällen verlangte der Ritus die religiöse Reinigung. Der Aberglaube, dass Blut etwas Unreines und Verunreinigendes sei, geistert noch heute in dem für den ersten Kirchgang der Wöchnerinnen geltenden Brauch und in gewissen mit der Menstruation zusammenhängenden Tabus. Die Vorstellung, dass ein Kind »Blut von seines Vaters Blut« 'sei, ist ebenfalls Aberglaube; in Wirklichkeit geht nur das Blut der Mutter in das Kind ein. Wenn das Blut wirklich so wichtig ist, wie man uns glauben machen will; kann einzig das Mutterrecht den authentischen Nachweis der Abstammung garantieren.
    In Russland, wo die Bevölkerung seit der Revolution unter dem Einfluss der marxistischen Theorien nach ihrer wirtschaftlichen Herkunft klassifiziert wird, hatten die sowjetischen Machthaber ähnliche Schwierigkeiten zu überwinden wie seinerzeit die deutschen Rassentheoretiker mit den »nordischen« Skandinaviern. Zwei verschiedene Glaubenssätze mussten auf einen Nenner gebracht werden. Der eine hieß: Die Proletarier sind gut, alle übrigen Menschen sind schlecht; der andere lautete: Die Kommunisten sind gut, alle anderen Menschen sind schlecht. Nur durch Sinnänderung der Ausdrücke konnte zwischen beiden

Weitere Kostenlose Bücher