Unscheinbar
zurück, auf der Emma nicht sass. Dann hob er behutsam ihre Beine an, zog ihr die Pyjamahose aus und den Rest der Decke unter ihr hervor. Sie stöhnte leicht auf, erwachte aber nicht. Er wickelte sie auch aus dem Pyjamaoberteil. Und stellte fest, dass sie keinen Büstenhalter trug.
Natürlich. Was hatte er anderes erwartet?
Mit leichtem Druck gab er ihrem schlafenden Körper zu verstehen, dass er sich hinlegen sollte. Das klappte wie von Geisterhand. Sie kuschelte sich sofort bis zur Nase in die weiche Daunendecke, was Ben ein Lächeln entlockte. Schliesslich befreite er noch ihr Haar aus dem Handtuch.
Dann entledigte auch er sich seiner Kleidung und legte sich vorsichtig zu Emma ins Bett. Um sie nicht zu wecken, schlang er so sanft wie nur irgend möglich die Arme um sie und zog sie an sich heran.
Es sah auf sie hinunter. Sie schien perfekt in seine Armbeuge zu passen. Dieser Gedanke versetzt ihm einen kleinen, schmerzhaften Stich.
Angst, wie er sich widerstrebend eingestehen musste.
Dennoch konnte er nicht widerstehen. Bevor er selbst die Augen schloss, strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei fuhr er ihr ganz beiläufig mit der Hand über die Wange.
Strang 2 / Kapitel 20
„Da bist du ja! Was machst du denn da oben?“ Martin stand unten in der Scheune und sah hoch zum Heuboden. „Vater braucht die Bücher mit den neuen Zahlen. Er kann sie nicht finden. Kannst sie ihm geben?“
Gregor legte die Heugabel beiseite. Er trat näher an die Kante heran und schaute auf seinen Bruder herab. Er wankte leicht, als würde er das Gleichgewicht verlieren. Plötzlich machte er noch einen Schritt nach vorne. Direkt auf den Abgrund zu. Bedrohlich nahe am Rand setzte er den Fuss wieder ab.
Martin zuckte erschrocken zusammen. „Gregor! Pass doch auf, Mensch!“
„Tu ich ja. Keine Sorge. Paps will die Bücher? Paps kann die Bücher haben.“ Gregor trottete zur Leiter. Etwas unbeholfen stieg er auf die Sprossen.
Unten angekommen hüpfte er von der letzten Sprosse weg, riss die Arme in die Luft und rief begeistert: „Da bin ich!“
„Ja, das sehe ich.“ Skeptisch musterte Martin seinen Bruder. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er ihn für betrunken gehalten.
Gregor wankte leicht, als er den Ausgang der Scheune ansteuerte. Auf einmal blieb er stehen. Er riss den Kopf nach oben und zog langsam den Finger nach. Er zeigte auf den Balken im Tenn. „Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass Miriam an genau einem solchen Balken baumelte, als wir sie fanden?“
Martin schüttelte nur den Kopf. Er legte den Arm um seinen Bruder und zog ihn mit. „Komm. Vater wartet.“
Martin stellte Gregor bei Erwin ab. „Hier hast du deinen Sohn. Er benimmt sich heute etwas seltsam. Die Luft auf dem Heuboden war ihm vielleicht etwas zu dünn.“
„Auf dem Heuboden?“ Erwin liess den Blick verwundert von einem Sohn zum anderen wandern.
„Keine Ahnung, was er da oben gesucht hat. Frag gar nicht erst.“
Erwin folgte Martins Rat und fragte nicht. Stattdessen schickte er Gregor voraus die Bücher zu holen. Leichtfüssig tänzelte Gregor zum Seiteneingang des Haupthauses. Dorthin, wo sich das Büro befand. Dass er nicht noch ein Liedchen trällerte, war auch schon alles.
Martin sah ihm noch nach, bis er hinter der Tür verschwunden war.
Seltsam. Zuerst bekam er kaum einen Fuss vor den anderen, jetzt tanzte er förmlich.
Martin war gespannt, was als nächstes kommen würde.
Gregor betrat mit Schwung sein Büro, rasselte in das Bücherregal, das gegenüber der Tür aufgebaut war und landete in seinem hölzernen Drehstuhl. Marke Eigenbau.
Erwin folgte ihm in einigem Abstand. Als sein Schatten in der Tür auftauchte, gab Gregor dem Stuhl einen Stoss. Der Stuhl wirbelte drei Mal um die eigene Achse. Dann bremste ihn Gregor so ab, dass er mit dem Gesicht zu seinem Vater zum Stillstand kam.
Auch jetzt zog Erwin nur eine Augenbraue hoch. Seine Fragen schluckte er aber hinunter. Bis auf eine. „Gregor, wo hast du die neuen Zahlen?“
Gregor verzog seinen Mund zu einer Fratze, dann zu einem Lächeln. „Im Nirgendwo.“
„Gregor, was soll das heissen?“
„Sie sind überall und doch nirgends.“
Erwin wurde ungeduldig. „Ich habe noch anderes zu tun. Also lass das und gib mir einfach die Bücher, ja?“
„Nein.“
Erwin sog scharf die Luft ein. „Und warum nicht?“
„Weil es sie nicht gibt.“
„Wie bitte?“
„Du weisst schon. Ich habe sie nicht. Es gibt sie nicht.“
Langsam
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