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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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über die rissige Oberlippe.
    Er wollte sie alle behalten. Bis zum tödlichen Ende.
     
    Mittlerweile war es stockdunkel.
    Joschua. Ein flüchtiger Gedanke in ihrem vernebelten Gehirn.
    Emma wurde langsam müde. Die Kälte ebbte ab. Die Gliedmassen wurden schwer. Sie wusste, was das bedeutete. Wenn sie jetzt einschlief, würde sie erfrieren. Also Bewegung. Sie versuchte aufzustehen.
    Aber sie scheiterte.
    Wie ein nasser Sack plumpste sie zurück auf die Erde.
    Ihr war nach Heulen, verzweifeltem Schluchzen und wütendem Umsichschlagen zumute. Heraus kam aber nur ein schnaubendes Kichern. Erfrierungserscheinung oder Selbstschutz?
    Egal was, es war zum Verzweifeln.
    Schwarzer Humor im Tiefkühler. Sehr schön. Wollte ihr Verstand sie schützen, war Humor sicher nicht übel, aber zurzeit wäre ihr nützlicher Tatendrang lieber gewesen. Aber nein. Es kam nur Lachen. Gesunder Menschenverstand sah wohl anders aus.
    Aber auch darüber amüsierte sich Emma.
    Schliesslich gab sie nach. Zusammenbrechen, worauf sie gerade Lust hatte, war schlimmer und brachte weit weniger, als ein irrationaler Anflug von Humor.
    Die dunklen Gedanken begannen dann aber doch auf Emma einzustürmen. Vor allem stapelten sich die Fragen.
    Konnte sie ihren Augen trauen? Was hatte sie unter dem Fels vorgefunden?
    Man hatte ihr eine Falle gestellt. Und sie war direkt hineingerannt.
    Emma atmete tief durch. Das hatte sie nicht wissen können.
    Aber sie hatte gewusst, dass in diesen Breitengraden etwas ganz und gar nicht stimmte. Warum hatte sie nicht einfach die Rettungsmannschaft geholt, wie jeder andere normale Mensch auch?
    Sie kannte die Antwort. Weil sie geglaubt hatte, die Stimme zu kennen. Oder hatte sie sie gekannt? Sie wusste es nicht mehr. Aber sie wusste, dass sie hatte nachsehen wollen, was los war. Dann Hilfe rufen. Bei der Person bleiben. Sie unterstützen und ihr gut zureden, solange es eben nötig war. Das würde sie auf jeden Fall wieder tun. In normalem Gelände. Doch als sie merkte, an welch unmöglichen Ort sie sich hatte treiben lassen, war es schon zu spät gewesen.
    Das war ihr jetzt klar.
    Sie war eben keine Gämse.
    Gelähmt von der Kälte vergass sie, was sie vorgehabt hatte. Aufstehen und davon gehen? Es kam ihr einfach nicht mehr in den Sinn. Dafür hüpfte ein gehörntes Tier in ihren Gedanken herum.
    Keine Gämse.
    Gämse.
    Da war doch etwas mit diesem Tier. Nur was?
    Ben. Alice! Himmel nein!
    Mit einem Schlag erwachten ihre Geister zu neuem Leben.
    Alice suchte sie bestimmt schon lange. Sie hatte wahrscheinlich schon bei Ben Alarm geschlagen. Ben hatte sicher auch bereits anzurufen versucht und immer nur die Mailbox erreicht. Das war auf jeden Fall besorgniserregend genug.
    Sie musste sich zusammenreissen. Sie konnte hier nicht einfach so krepieren.
    Wie hatte Ben gesagt? Wir müssen es zu Ende bringen.
    Obwohl sich ihre Gliedmassen tapfer wehrten, rappelte sich Emma schliesslich doch auf.
    Dunkel erinnerte sie sich an ihre Handtasche. Wie ein Lappen hing sie triefnass um ihre Schulter.
    Das Telefon. Scheisse.
    Sie fummelte am Reissverschluss ihrer Jackentasche herum.
    Als er endlich nachgab, griff sie beinahe panisch hinein.
    Vorsichtig zog sie den Inhalt heraus. Sie drückte einen Knopf, wagte es aber kaum auf das Display zu schauen.
    Doch das Licht ging an.
    Der Verkäufer hatte also recht gehabt. Die Taschen waren absolut wasserdicht. Gut geeignet, auch wenn’s aus Kübeln schüttet, hatte er gesagt. Wenn sie zurück nach Hause kam, würde sie dem Verkäufer einen neuen Verkaufsslogan geben.
    Taugt sogar für Wasserfallsprünge in ein Schmelzwasserbecken.
    Na, wenn das nicht verkaufsfördernd war.
    Emmas kalte Finger konnten das Telefon kaum halten. Bevor sie ihre Taschenlampe aktivierte, wollte sie etwas aber noch genauer wissen.
    Wenn sie hier jetzt auch noch Empfang hatte, dann…
    Sie hatte keinen. Also blieb nur noch der Weg zurück.
    Sie wusste nicht wirklich, wie, aber sie schleppte sich vorwärts. In Erinnerung an den Aufstieg war sie froh, den Abstieg bereits hinter sich zu haben. Dennoch, es blieb anstrengend. Doch sie war entschlossen, es durchzuziehen.
    Die ersten Meter schaffte sie mehr fallend, als gehend. Sie verlor immer wieder den Halt, rutschte aus. Doch je mehr sie sich bewegte, desto mehr hatte sie ihren Körper wieder im Griff. Warm wurden die Glieder nicht, aber funktionstüchtig. Das reichte aus.
     
    Die Hälfte des Rückwegs hatte sie geschafft, als sie schemenhaft einen Umriss erkannte, der

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