Unscheinbar
einen unerklärlichen Stich. Sie schüttelte den Kopf. Dass das nicht Ben galt, sondern sich selbst, konnte er nicht wissen.
„Naja, sie hat mir eben gut getan. Bis zu dem Augenblick, als ich mich entschied, fortzugehen.“
„Und sie zurückzulassen.“
„Was ich nicht getan habe. Zumindest nicht direkt. Weisst du, Liss hatte lange Zeit, sich als die Verlassene in dieser Beziehung darzustellen. Was gerne vergessen wird zu erwähnen, ich habe Liss gefragt, ob sie mit will. Als sie nein sagte, habe ich ihr eine Fernbeziehung vorgeschlagen. Sie hätte mich regelmässig besuchen können und ich sie. Dann sicherte ich ihr zu, dass ich nach einem Jahr wieder zurückkehren würde. Natürlich wollte ich weggehen ohne eine Rückkehrfrist. Aber unter den gegebenen Umständen war ich auch für diesen Kompromiss bereit.“
Er machte eine kurze Atempause, die Emma füllte.
„Aber damit war sie nicht einverstanden, stimmt‘s?“
„So ist es. Du kannst dir die Nacht damals vorstellen, wie im Fernsehen. Es regnete. Der Nebel waberte über den Boden. Es roch nach nasser Erde und feuchtem Stroh. Wir trafen uns in der Scheune ihres Vaters. Ich reichte ihr mein Herz dar und sie trampelte darauf herum. Klingt wie eine Seifenoper, ich weiss. Aber es passt zu der damaligen Situation. Liss war schon immer bekannt für ihre dramatischen Auftritte und Abgänge. Einen davon legte sie in dieser Nacht hin. Walter hat mich nicht nur gelehrt an Autos rumzubasteln. Er hat mir allerlei beigebracht. So habe ich mein polymechanisches Wissen gebraucht, um einen Ring für Liss herzustellen. Er war einfach und schlicht. Aber die Botschaft war umso bedeutender. Ich wollte sie behalten. Nicht als meine Braut, aber als meine Freundin. Sie hat ihn sich angesehen. Ich werde ihren Blick niemals vergessen. Sie hat ihn so angewidert gemustert, als hätte ich ihr eine Spinne geschenkt. Als sie wieder aufsah, schimmerten Tränen in ihren Augen. Sie schwor mir, mich zu lieben, aber wenn ich ginge und sie zurückliesse, wäre es aus. Für immer. Sie drückte mir den Ring in die Hand und rannte in den Regen hinaus. Einmal quer über das Feld und weg war sie. Ich rief, sie solle warten, rannte ebenfalls in den Regen. Als sie nicht anhielt, sich nicht einmal mehr umsah, blieb ich stehen. Tropfnass, wie der begossene Pudel himself.“
„Was ist dann passiert?“
„Am nächsten Tag verliess ich das Dorf. Den Ring warf ich unterwegs in den Abgrund. Ich beschloss, nicht mehr zurückzudenken und nicht mehr zurückzukehren.“
„Die Stadt ist aber doch etwas anderes, als das Leben hier. Hat dir die Umstellung nichts ausgemacht?“
„Anfangs war es aufregend. Alles neu, gross und hektisch. Zumindest im Verhältnis zum Leben hier. Die Frauen schienen mich auch zu mögen, also konnte ich meinem Ärger Luft machen, in dem ich meinen verletzten Stolz rächte. Irgendwann hatte ich es aber auch gesehen. Die Weiber wurden mir zu aufdringlich, die Stadt zu laut. Zurückkommen kam aber nicht in Frage.“
„Der Stolz war im Weg?“
„Volltreffer. Eigentlich mag ich, wie es ist. Ich habe mir einen Namen gemacht, als Oldtimerrestaurateur. Inzwischen kann ich sehr gut davon leben. Die Leidenschaft zum Beruf zu machen, ist doch der Traum eines jeden, oder nicht?“
Zustimmend nickte Emma.
„Man weiss, wo man mich findet und das ist gut. Ich habe auch ein Plätzchen gefunden, das weg ist vom Trubel, aber nicht aus der Welt. Und doch fehlt was. Das sorgte für innere Unruhe, die solange an mir knabberte, bis sie mich schliesslich hier wieder ausspuckte.“
„Zurück zu den Wurzeln.“
„Scheint so. Und was habe ich hier gefunden? Ausgerechnet ein Stadtküken und noch mehr Probleme. Ich finde, das habe ich richtig gut hinbekommen.“
„Ein Meisterstück, in der Tat.“ Emma schubste ihn leicht an.
Lachend klemmte er erneut ihren Hals in der Armbeuge ein. „Nur nicht frech werden, du weisst, was das letzte Mal passiert ist.“
„Oh, ich erinnere mich vage. War das der Teil mit dem Sabberlatz für die Mädels, die dich anhimmelten?“
„So, das war’s. Strafe muss sein.“ Er packte etwas fester zu.
„Warte! Wolltest du mir hier nicht etwas zeigen? Da war doch was mit einem Wasserfall, oder?“ Spielerisch setzte sich Emma zur Wehr. Sehr zur Belustigung der umstehenden Touristen.
„Du willst den Wasserfall sehen? Ich zeige dir den Wasserfall.“ Sie waren während ihres Gesprächs ein ganzes Stück gelaufen, bis zu einer Aussichtsplattform, von der
Weitere Kostenlose Bücher