Unscheinbar
wieder einfach weg. Verschwunden. In Luft aufgelöst. So nahe... Wahrscheinlich war er öfter in ihrer unmittelbaren Nähe, als sie es sich bewusst war. Wie sonst hätte er immer gewusst wo er sie erwischen konnte, wenn er ihnen nicht wie ein Schatten folgte? Als wäre er unsichtbar…
Sie erschauerte.
„Was ist los?“
„Ich hatte gerade einen ziemlich beunruhigenden Gedanken. Weiter nichts.“ Sie machte sich wieder ans Klettern. „Ich komme jetzt hoch, wenn’s recht ist.“
„Wenn’s sein muss. Ich werde dann mal Popcorn organisieren und mich hier hinhocken.“
„Witzig. Wirklich witzig. Haha.“
„Spar dir die Luft lieber zum Klettern, Stadtäffchen.“
Stadtäffchen?
Dem Kerl gehörte der Kopf gewaschen!
Mühsam kletterte sie weiter. Ihr war klar, dass er ihr nicht half, wenn er ihr entgegen kam. Trotzdem machte es sie wütend, dass er einfach nur dort oben stand und ihr zusah.
So glaubte sie zumindest.
Ben hatte andere Pläne. Er beobachtete nicht direkt, wie Emma sich abmühte. Er begutachtete vielmehr die Situation und versuchte eine Möglichkeit zu finden, wie er ihr zu Hilfe kommen konnte. Das war nicht ganz einfach. Er hatte weder ein Seil noch sonst ein Hilfsmittel zur Verfügung. Obwohl er wusste, dass es kaum etwas brachte, suchte er sich einen langen, stabilen Ast.
Ben brauchte nicht lange, um fündig zu werden.
Bäuchlings legte er sich parallel zum Abhang hin. Ideal war die Lage nicht, aber der Platz reichte nicht aus, für eine bessere Positionierung. Er umfasste den Ast fest mit beiden Händen und streckte ihn Emma entgegen.
Sie streckte den Arm aus. Nur wenige Zentimeter trennten sie von ihrem Rettungsanker.
„Komm schon. Gleich hast du’s!“
Sie atmete tief durch. Dann hievte sie sich noch ein Stück nach oben und bekam den Ast schliesslich zu greifen.
„Ich werde dich kaum hochziehen können, aber vielleicht hilft es dir beim Aufstieg.“
Dennoch versuchte Ben sie mit aller Kraft hochzuziehen, während Emma weiter kletterte. Das Holz entpuppte sich tatsächlich als gutes Hilfsmittel.
Sie kam bald in Reichweite von Bens Hand. Er liess den Stock mit der linken Hand los und streckte sie nach Emma aus. Er bekam ihr Handgelenk zu fassen, sie umschloss gleichermassen seines.
Ben liess daraufhin den Ast auch mit der zweiten Hand los. Während Emma ihm weiter entgegenkam, zog er sie hoch.
Das Gelände liess es schliesslich zu, dass sie besseren Halt bekam und sich langsam aufrichten konnte. Währenddessen arbeitete sich Ben aus der Bauchlage auf die Knie, zog ein Bein unter seinem Körper hervor, stemmte es gegen den Abhang und stützte sich auf diese Weise ab.
Als Emma oben ankam, liess die Zugkraft nach. Überrascht von dieser plötzlichen Erleichterung gerieten beide aus dem Gleichgewicht. Sie stürzten rückwärts. Der Weg liess nicht genug Platz für zwei.
Emma landete auf Ben.
Die Gesichter lagen so nahe beieinander, dass Ben die Hitze der Anstrengung spürte, die Emma ausstrahlte.
„Ich werte diesen Überfall als Dankbarkeit.“
Emma wollte bereits mit einer bissigen Antwort aufwarten. Da entdeckte sie es in seinen Augen. Dieses spitzbübische Funkeln. Sie überdachte ihre Taktik und verschluckte den Kommentar.
„Oh ja, ich bin dir dankbar.“ Sie brachte ihren Mund ganz nahe an seinen. Besorgt darum, dass ihre Lippen sich ganz beiläufig streiften, ihr Atem ihn kitzelte, warf sie ihm einen verheissungsvollen Blick zu. Währenddessen strich sie mit ihrem Fingernagel leicht hinter seinem Ohr entlang, über den Hals bis zu seinem Brustansatz. Soweit es seine Kleidung eben zuliess.
Mit Genugtuung registrierte sie, dass er schwer schluckte.
Das war genug. Abrupt liess sie von ihm ab und rappelte sich auf. Gleichgültig klopfte sie sich den Dreck von der Kleidung.
Aussichtslos. Aber zumindest taugte es, um die Gleichgültigkeit zu unterstreichen.
Er stützte sich auf den Ellbogen und sah ihr zu. Belustigt, wie sie erkannte.
Hochmütig sah sie auf ihn herab. „Willst du hier noch länger faul herumliegen oder gehen wir zurück?“
Eine Augenbraue hob sich.
„Warum hast du es denn so eilig? War doch ganz gemütlich hier, oder nicht? Alleine. Im Wald. Nur du und ich. In der feuchten Erde. Auf dem raschelnden Laub.“
„Wenn das, was du da grade mit deinem Gesicht tust, ein anzügliches Lächeln werden soll, empfehle ich dir noch ein paar Übungsstunden vor dem Spiegel. Derzeit sieht es eher so aus, als hättest du in eine Zitrone gebissen.“
„Mist.
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