Unscheinbar
Jetzt verstehe ich auch, weshalb bei diesem Blick alle Girls kreischend davon gerannt sind.“ Ben zuckte leicht die Schultern. Dann stand er endlich auf. „Spass beiseite. Ist mit dir alles okay?“
Emma machte gedanklich eine kurze Bestandsaufnahme. „Alles noch dran, soweit ich weiss.“
„Und die Psyche?“
„Angeknackst, aber noch da. Ich glaube, ich gewöhne mich langsam dran, andauernd irgendwo hinunterzufallen.“
„Na, hoffentlich nicht.“ Er schob sie leicht an. „Los jetzt. Wir müssen zurück zu Alice. Sonst sorgt sie sich nur.“
„Stimmt. Wenn sie uns so sieht, wird sie sich keinesfalls Sorgen machen.“
„Dann können wir es ihr zumindest erklären. Kommen wir zu spät zurück, hat sie niemanden, der ihr etwas erklärt und viel Zeit für wilde Spekulationen. Was ist wohl besser?“
Wo er Recht hatte…
„Erinnere mich bitte daran, dass ich ihr sage, sie soll mir die Wasserrechnung schicken.“
„Die Wasserrechnung?“
„Ich brauch ihre Waschmaschine schon wieder.“
Ben konnte nicht anders. Er musste einfach lachen. „Dieses Mal mach ich mit. Apropos Waschmaschine, bevor ich es vergesse und es zufällig in der Maschine landet, möchte ich dir das zurückgeben."
Ben hielt an und öffnete den Reissverschluss seiner Jackentasche. Neugierig drehte Emma sich zu ihm um.
"Mir was zurückgeben?"
Ben förderte ein zerfleddertes Stück Papier zutage.
Emma erstarrte. "Woher hast du das?", flüsterte sie.
Interessiert beobachtete Ben die Veränderung in Emmas Gesicht. "Walter hat es mir gegeben. Er meinte, es muss dir aus der Brieftasche gefallen sein, als du ihm deine Visitenkarte gegeben hast."
"Hat er etwas dazu gesagt?"
"Du meinst, ob er es gelesen hat?"
Emma schwieg.
"Das hat er nicht. Und ich auch nicht. Welches Geheimnis du auch immer mit dir herumträgst, es ist nach wie vor geheim. Hier." Ben reichte Emma das Papier, das ihr offenbar enorm wichtig war.
Sie nahm es wortlos entgegen und steckte es vorsichtig, wie Ben feststellte, beinahe ehrfürchtig, zuhinderst in ihre kleine Brieftasche.
"Zum Glück hattest du das bei deiner kleinen Planscherei im Wasserfall nicht mit dabei, sonst wäre es jetzt wohl verloren."
Erschrocken sah Emma auf. Daran hatte sie nicht gedacht.
Als Ben ihren Gesichtsausdruck sah, beschloss er, nicht weiter auf diesem Thema herumzutrampeln. Eines musste er aber noch loswerden. "Das mit Joschua tut mir leid."
Emma zog sich der Magen zusammen. "Ja, mir auch. Er war zwar ein Idiot, aber das hat er nicht verdient. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er ausgesehen hat. Man hatte ihn entsetzlich zugerichtet."
Einem Impuls folgend zog Ben Emma tröstend in die Arme. Für eine Weile hielt er sie fest, drückte ihr schliesslich einen Kuss auf den Scheitel und murmelte: "Dann wird es Zeit, diesem Monster den Garaus zumachen."
Ganz genau. Sie löste sich von ihm, sah ihm fest in die Augen und nickte. Beiläufig fügte sie schliesslich noch an: "Ach, und übrigens, er war nicht mehr mein Freund. Bevor ich hierherkam, hatte ich die Beziehung beendet."
"Ich weiss. Walter sagte etwas in die Richtung."
"Ach, ja?" Fragend sah Emma ihn an. Aber Ben ging nicht weiter darauf ein. Er räusperte sich nur und schubste sie leicht an. "Los jetzt. Und während wir gehen, könntest du mir erklären, warum du auf einmal diesem Mann hinterhergerannt bist.“
„Nett, dass du mich daran erinnerst.“ Beschämt senkte Emma den Kopf.
„Also?“
„Ich weiss auch nicht, was in mich gefahren ist. Als ich vorhin bei den Wasserfällen aufsah, entdeckte ich im Hintergrund auf einmal diesen Mann. Ich konnte nur einen Teil des Gesichts sehen. Und das auch nur ganz kurz. Aber es hat gereicht.“
„Gereicht wofür? Für wen hast du ihn gehalten?“
„Für Martin.“
Ben ging hinter Emma. Aber sie konnte deutlich spüren, wie er sie überrascht ansah. „Ich weiss, es klingt verrückt.“
„Emma, Martin ist tot.“
„Das weiss ich doch auch.“
„Und trotzdem bist du diesem Phantom hinterhergeeilt.“
„Dumm, ich weiss. Aber ich musste sicher sein, dass er es wirklich nicht ist. Ich wollte das Gesicht des Mannes ganz sehen. Mich selbst davon überzeugen, dass ich mir nur einbilde, Martin gesehen zu haben. Wäre ich ihm nicht gefolgt, wie hätte ich da zu 100 % sicher sein können? Klar, er ist tot. Aber seit ich hier bin, passiert andauernd Zeug, das in meiner bisherigen Welt unmöglich schien…“
„Das geb‘ ich ja auch gerne zu. Aber auferstandene Tote haben
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