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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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den Weg gab. Die Strafe kam bei der Alpfahrt. Ein Sturm zog auf, der Schnee kam und begrub die schöne Weide mitsamt dem Liebespaar unter sich. Seither grünt es dort nicht mehr und manch ein Jäger, der sich dorthin verirrte, konnte die Rufe der Verbannten hören. Gruselig, was?“ Emma war fasziniert.
    „Hätte ich dich mehr geärgert, hätte mir dann auch ein solches Schicksal geblüht?“, fragte Ben an Alice gewandt. Aber nicht ohne das Funkeln in den Augen.
    „Sei unbesorgt, ich hätte die Bestrafung keinesfalls einer Naturgewalt überlassen.“
    Zum ersten Mal erkannte Emma, woher Ben dieses schelmische Leuchten in den Augen hatte. Niemand Geringeres als Alice hatte ihm das mit auf den Weg gegeben. Ob sie sich dessen bewusst waren?
    „Glaub ich dir“, entgegnete Ben. „Aber wir schweifen ab. Ich hab hier noch was anderes gefunden.“ Ben deutete auf den Bildschirm. „Mama, wie war das nochmal mit dem Hof der Reichs? Alle, die noch übrig waren, sind im Haus umgekommen, als der Berg niederging?“
    Alice seufzte. „So ist es. Bis auf Martin.“
    Bis auf Martin. Schon wieder, dachte Emma. Irgendwie war der Gute immer weg, wenn es brenzlig wurde. Nicht jetzt, mahnte sie sich und schob den Gedanken erneut beiseite. Sie wollte diesen Faden später wieder aufnehmen.
    „Es gibt hier eine Sage über das sogenannte Schillingsdorf. Das Schicksal dieser Gemeinde erinnert mich stark an den alles zerstörenden Vorfall.“
    „Erzähl!“, forderte Emma.
     
     

Strang 2 / Kapitel 23
     
    „Sie sind tot. Einfach tot. Alle. Nur noch wir sind übrig. Wie konnte das passieren?“ Verzweifelt schlug Ruth die Hände vor ihr Gesicht. „Womit haben wir das verdient? Welche Sünde haben wir begangen, um so bestraft zu werden?“ In ihren Augen glänzten die Tränen. Sie konnte sie aber nicht mehr weinen. Sie hatte schon zu viele vergossen. Ihr Gesicht war rot und aufgedunsen. Ihre Brust schmerzte. Schluchzer schüttelten sie, wie kleine Nachbeben. Sie hatte Mühe zu atmen. Ihre Kehle war zugeschnürt.
    Martin legte ihr den Arm um die Schulter. Erwin sass vor ihr und hielt ihre Handgelenke. Immer wieder küsste er ihre Finger, damit sie ihr Gesicht wieder zeigte, das sie hinter den Händen vergrub. Er strich ihr übers Haar. Er wollte sie trösten. Dabei war er selbst untröstlich.
    Nun hat es also auch seinen Sohn erwischt. Diese seltsame Welle des Unglücks holte sich jetzt auch die nahe Verwandtschaft. Wann kam er selbst an die Reihe? Hoffentlich bald. Es würde das entsetzliche Leid lindern.
    Doch das war egoistisch. Er konnte es verkraften. Er musste stark sein. Für seine Frau. Für die beiden verbliebenen Söhne. Wenn es sein musste, dass der Tod sich noch mehr holte, dann sollte es ihn zuletzt treffen. Er würde bis zum Schluss da sein, um diejenigen zu trösten, die noch verschont blieben.
    Rosa sass in der Ecke neben dem Herd. Das Feuerchen strahlte eine wohlige Wärme ab. Es vermochte aber ihr Herz nicht aus den eisigen Klauen zu befreien. Silina. Ihr einziges Kind. Und jetzt auch noch Gregor. Nachdem Rudi, Käthe, Bernard, Peter… Oh, wie schrecklich! Es waren einfach zu viele!
    Sie glättete ihr zerknäultes Taschentuch und schnäuzte hinein.
    Antonius sass auf der langen Bank am Tisch. Seine Augen leuchteten wie immer. Aber selbst sein Lächeln war nicht mehr ganz so breit. Mit einem unsicheren Halbgrinsen äugte er in die Runde. „Iiihr dürft ddas Poositive nicht vergessen. Jjjetzt haaben wir einige Mmäuler weniger zu sttopfen.“ Sein Grinsen wurde breiter. Hoffnungsvoll sah er seine Familie an.
    Sie ignorierten ihn. Nur Martin blickte kurz auf, warf ihm einen traurigen Blick zu. Aber er sagte nichts.
    Antonius‘ Versuch, die Stimmung aufzulockern blieb in peinlicher Stille hängen.
    Es störte ihn nicht. Sein Gesichtsausdruck war nach wie vor gutmütig. Er wusste allerdings nicht, was er mit dem schwermütigen Schweigen anfangen sollte, das im Raum dominierte. Als wäre das nicht genug, lag der Raum auch noch im Halbdunkel. Draussen brach die Nacht herein und auf dem Tisch in der Küche brannte nur eine einzige Kerze.
    Im Gedenken an den verstorbenen Bruder.
    Er begutachtete die Mienen der anderen und wartete. Aber nichts passierte. Langsam wurde er nervös. Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. Kaum hörbar.
    Das Feuer knisterte im Herd. Die Kuckucksuhr tickte. Ab und an gab jemand ein Seufzen oder Schluchzen von sich.
    Draussen prasselte der Regen nieder.
    Noch während der

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