Unscheinbar
nachdenken.“ Alice zog die Augenbrauen zusammen. „Dann war Silina an der Reihe. Die Tochter von Rosa. Sie war entsetzlich faul. Leider. Das passte so gar nicht zum Rest der Familie. Sie wurde von der Heiligen Jungfrau Maria erschlagen.“
Emma machte grosse Augen. "Maria! Mit ihr hatte ich auch einen Beinahezusammenstoss. Nachdem ich beim Pfarrer war, fiel eine Marienstatue aus dem Glockenturm und zerbarst direkt neben mir auf der Erde. Sie verfehlte mich nur um Haaresbreite. Kevin war der Überzeugung, dass dies das Werk randalierender Jugendlicher war."
„Plausibel erklärt. Wie immer“, merkte Ben sarkastisch an.
Emma ignorierte seinen Kommentar. „Mit der Marienstatute hätten wir also auch den seltsamen Gegenstand.“
„Nein, warte. Die Spindel. Sie hielt eine Spindel in der Hand. Für jemanden, der Arbeit und alles, was damit zusammenhing derart mied, ist das ziemlich seltsam, sowieso ohne Spinnrad. Dazu lag sie noch irgendwo im Nirgendwo.“
Die Spindel wurde zusammen mit der Marienstatute notiert.
Und so ging es weiter.
„Rudi, der Jäger der weissen Gämse, hatte ein rotes Hundehalsband bei sich, als man ihn fand“, erinnerte sich Alice.
Während Emma fleissig mitschrieb, regte sich in ihrem Unterbewusstsein ebenfalls eine Erinnerung. Ehe sie den Gedanken richtig fassen konnte, hatte sie ihn auch schon ausgesprochen. „Und wer hatte eine Puppe bei sich?“
Verblüfft schaute Ben zu Emma. „Eine Puppe? Woher hast du das?“
Alice musterte ihren Sohn. „Deiner Reaktion nach zu urteilen, weiss Emma das nicht aus den Akten.“ Und an Emma gewandt fügte sie an: „Gregor hielt eine Puppe in Händen und einen Fingerring. Woher weisst du von der Puppe?“
„Mein Erlebnis mit dem Wasserfall. Dort habe ich eine kleine Stoffpuppe gesehen. Sie war an Joschuas zerschlagenem Kopf angelehnt.“
Die Erinnerung jagte Emma einen Schauer durch den Körper.
Alice und Ben schwiegen betroffen.
„Schon gut.“ Emma schüttelte die Erinnerung ab. „Was noch?“
Alice drückte mitfühlend Emmas Hand, dann nahm sie den Faden wieder auf. „Die letzten Toten. Sie kamen um, als die Felsmassen das Haus überrollten. Dort fand man kein Merkmal. Kein Zeichen. Oder steht in den Akten etwas anderes? Ben?“
Ben schüttelte den Kopf. „Nein, nichts.“
„Uns ist auch nichts aufgefallen, als die Felslawine niederging. Das muss allerdings nichts heissen.“
„Stimmt. Aber ich glaube, wir können es für den Moment dabei belassen. Dann war da noch Martin. Er starb ebenfalls bei einem Autounfall. Das Auto fing Feuer“, wie sich Alice schaudernd erinnerte. „Fand man da was?“
„Das weiss ich leider nicht so genau, denn ich habe nicht alle Akten einsehen können. Du hast mich zu früh abbeordert, um Emma zu suchen.“ Ben fuhr sich nachdenklich übers Kinn.
„Und wenn auch bei ihm nichts gefunden worden war? Könnte es daran liegen, dass das Auto vollkommen ausgebrannt war?“, fragte Emma in die Runde.
„Möglich wär’s“, antwortete Alice.
Ben war nicht überzeugt. „Das wäre ziemlich schlampig gewesen. Nach allem, was wir bisher wissen, war der Mörder detailversessen. Schlampigkeit passt nicht ins Bild.“
„Auch wieder wahr. Merken wir uns den Gedanken für später. Ich schlage vor, wir testen zuerst, ob Emmas Theorie überhaupt zutrifft. Einverstanden?“ Alice wartete die Antwort nicht ab. Sie nahm sich ein Sagenbuch vom Tisch. Emma tat es ihr in stillem Einverständnis nach, während sich Ben achselzuckend an den Laptop setzte.
Sie tippten, blätterten, lasen. Bis Alice als erste ausrief.
„Ich glaub, ich habe da etwas.“ Gespannt liessen die beiden anderen von ihren Texten ab und lehnten sich zu Alice hinüber.
„Hier.“ Sie deutete mit dem Finger auf eine Zeile im Buch. „Hier wird von einem Bauernhaus, der Stüssihütte, erzählt, in dem ein schwermütiger Knecht gelebt haben soll. Der Knecht hat sich am Firstbalken erhängt. Und ratet mal was?“
Ben sah seine Mutter ungläubig an. „Sag uns jetzt nicht, das Haus ist abgebrannt.“
„Dann sag ich’s nicht. Aber es war so. Alles Staub und Asche bis auf den Firstbalken.“
„An dem sich der Knecht erhängt hat“, ergänzte Emma.
Alice nickte triumphierend.
„Das gibt es doch nicht.“ Emmas Augen blitzten aufgeregt auf. Ihr Herz begann schneller zu klopfen. „Das heisst doch, dass ich recht hatte, oder?“ Erwartungsvoll schaute sie in die Runde.
„Es sieht ganz danach aus“, bestätigte Alice.
„Das wollen
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