Unscheinbar
sie hereinbrechen.
In jedem Sinn des Wortes.
Er schlich sich beinahe lautlos aus dem Haus. Obwohl er sich nicht hätte vorsehen müssen. Der Wind rauschte über das Gelände und pfiff um die Ecken. Niemandem wäre ein anderes Geräusch aufgefallen.
Und das war gut so. Genau die richtige Voraussetzung.
Heute oder nie.
Endlich würde er sein Werk zu Ende bringen.
Die Aufregung krabbelte wie eine Ameisenstrasse in ihm hoch.
Aber er musste sich beherrschen. Er brauchte eine ruhige Hand. Die Bedingungen waren so schon schwer genug. Der Regen, der Wind, die Kälte.
Aber es würde klappen. Es musste einfach.
Er zog sich die Kapuze tief ins Gesicht. Weniger, um nicht erkannt zu werden. Mehr, um sich vor dem Regen zu schützen.
Er wagte es noch nicht, das Licht seiner Taschenlampe einzuschalten. Das war zu riskant. Dafür war er noch zu nahe beim Haus. Hören würde ihn niemand, aber vielleicht sehen.
Behende setzte er einen Fuss vor den anderen. Er kannte das Gelände. Besser als jeder andere.
Für andere hatte es auch nie einen Grund gegeben den Weg so oft abzulaufen. Sich jeden Stein und jeden Halm einzuprägen. Jede heikle Stelle genau zu betrachten.
Für ihn schon. Nachdem klar geworden war, dass dies der Abschluss werden würde, das grosse Finale, hatte er sich der Planung gewidmet. Dazu gehörte ein gutes Versteck, ein Gewitter, passendes Material und der richtige Zeitpunkt.
Der war jetzt gekommen.
Der Untergrund war glitschig und aufgeweicht von dem Wolkenbruch. Doch er setzte jeden Fuss sicher vor den anderen. Er gewann immer mehr an Höhe. Die Umgebung wurde steiler, felsiger und zerklüfteter. Das Wetter ungastlicher.
Perfekt.
Der erste Donnerschlag würde bald über die Bergwipfel krachen.
Oben angekommen, war er ausser Atem. Aber es hatte sich gelohnt. Der harte Aufstieg zwang ihn, etwas zu empfinden. Glaube und körperliche Ertüchtigung. Instrumente, die Verstand und Sinne schärften. Wut und Schmerz kanalisierten. In Energie umwandelten. Schmerz empfinden bedeutete Leben.
Er wusste das. Sein Bruder hatte es nicht verstanden.
Er hatte sich dem Schmerz ergeben. War schwach geworden. Ein jämmerliches Geschöpf. Bis es ihn zerstört hatte.
Es war eine Frage der Zeit gewesen, bis dem Leiden sowieso ein Ende gesetzt worden wäre.
Er hatte es nur beschleunigt. Ihm den Gnadenstoss versetzt.
Jetzt waren die anderen dran.
Von seinem Posten aus überblickte er das ganze Tal. Er konnte auch das Dorf ausmachen, das sich an den Fuss des Berges schmiegte.
Aber das war nicht das, was ihn interessierte.
Von der Schwärze der Dunkelheit umhüllt, gepeitscht vom Regen, erkannte er die Silhouetten mehrerer Dächer.
Der Stall. Die Wäscherei. Die Schnapsbrennerei. Der Schuppen. Die Scheune.
Das Haupthaus dieses erhabenen Bauernhofs.
Mächtig und unnachgiebig war der Hof seit Generationen der Sitz der Reichs. Ein Zeichen für Wohlstand, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Erfolg.
Diese Zeiten waren vorbei. Ein für alle Mal. Und dass es so blieb, dafür würde er sorgen.
Er setzte mehrere Sprengladungen. Er versenkte sie in Felsspalten oder deponierte sie unter überhängendem Gestein. Dann rollte er die Zündschnüre ab, bis er seine Schutzzone über dem Geschehen erreicht hatte. Sein Abwehrwall bestand aus einem massiven Gesteinsbrocken, dem die Sprengung nichts anhaben konnte. Alleine schon deswegen nicht, weil die Lademenge genauso gezielt berechnet worden war, wie die Orte, an denen die Ladungen gesetzt wurden.
Ein Donnerschlag, mächtig wie Gottes Arm selbst, brachte die Erde zum Erzittern.
In einer Mischung aus Ehrfurcht und Überlegenheit stand er aufrecht im Regen. Er gönnte sich noch einmal einen Blick auf den Hof. Er stellte sich vor, wie die Bewohner darin schliefen.
Sie würden nichts mitbekommen, ehe es zu spät war. Und wenn sie frühzeitig aufwachen würden, hätten sie keine Zeit zu fliehen.
Der Donner grollte erneut. Die Erde zitterte.
Immer näher kam das Gewitter. Die Abstände zwischen Donner und Blitz wurden kürzer und immer kürzer.
Er trat zurück, zog seine Ohrenschützen über. Im Schutz seines Regenmantels holte er die Zündvorrichtung hervor.
Ein greller Blitz zuckt über den Himmel. Gleich darauf krachte es.
Das Gewitter war direkt über ihm. Und über ihnen.
Es war soweit.
Der nächste Donnerschlag würde das Todesurteil sein.
Sein Daumen lag auf dem Zünder.
Der Blitz erhellte das Firmament.
Es gab kein Zurück.
Er drückte den Knopf.
Die Erde bebte.
Es
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