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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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letzten Gefühlsausbruch.
    Schuldbewusst schaute Martin seine Mutter an. „Es tut mir leid. Ich musste es tun. Ihr müsst schlafen. Ihr braucht Kraft. Sonst schaffen wir das nicht.“
    „Was hast du da rein getan?“
    „Nichts Wildes. Nur Baldrian. Johanniskraut. Melisse.“
    „Das ist ja ein ganzer Cocktail! Fehlt nur noch Kamille.“
    „Ah, nein. Fehlt nicht. Habe ich nur nicht aufgezählt.“
    „Zum Glück haben wir keine Tabletten aus der Apotheke. Sonst hättest du die zerbröselt untergemischt, nicht wahr?“
    Martin biss sich auf die Unterlippe.
    „Das ist nicht dein Ernst.“ Ruths Blick wanderte zur Anrichte. Sie entdeckte den Mörser und feine weisse Rückstände auf der Arbeitsplatte. Sie konzentrierte sich wieder auf Martin. Fassungslos. „Woher…?“
    „Von damals. Von Sandrine. Sie hatte noch welche übrig. Sie bewahrte sie in ihrem Nachttisch auf. Ich habe sie zufällig gefunden. Und da ich nicht wollte, dass Gregor sie in seinem schlechten Zustand in die Hände bekommt, habe ich sie an mich genommen.“ Martin senkte betrübt den Kopf. „Naja. Was es genutzt hat, ist ja deutlich. Er hat sich einfach einen anderen Weg gesucht, sich aus dem Leben zu schleichen.“
    Der Schmerz bohrte sich wie ein Schwert in den Bauch und bis zur Wirbelsäule, nur kam er auf der anderen Seite nicht wieder raus.
    Ruth gähnte. Der Tee fing an zu wirken. „Du machst dir Vorwürfe. Lass das. Es ist schwer zu akzeptieren, aber wir haben unser Möglichstes getan, ihm aus seinem Elend herauszuhelfen.“ Die Augenlieder wurden schwer. „So, dank dir gehe ich jetzt schlafen. Und ihr beide auch, meine Lieben.“
    Ruth betrachtete Erwin, der im Sitzen eingeschlafen war. „Ihm hast du aber keine Tabletten gegeben, oder?“
    „Mit Alkohol? Nein. War nicht nötig. Vater kombiniert mit Kirsch war bisher immer ein bewährtes Schlafmittel.“
    „Stimmt.“ Ruth schüttelte Erwin unsanft an der Schulter. Er gab nur ein mürrisches Grunzen von sich. „Komm mein Guter, im Bett ist’s gemütlicher."
    Die Schlaftabletten entfalteten auch eine andere Wirkung. Sie betäubten nicht nur die Sinne, sondern auch den Schmerz. Vorübergehend war die Trauer gelähmt. Ruth fühlte sich besser, aber auch entsetzlich müde.
    Martin half ihr, Erwin auf die Beine zu stellen. Den Rest machte Erwin wörtlich im Schlaf. Ruth hielt ihn am Ellbogen fest und führte ihn so durch die Räume. In der Küchentür blieb sie stehen. „Kommst du nicht mit?“, fragte sie Martin, der in der Küche zurückgeblieben war.
    „Ich bleibe noch ein wenig hier sitzen. Geht ihr nur.“
    „Aber nicht mehr lange, ja? Dein Vortrag gilt für dich genauso wie für uns.“
    Martin lächelte halbherzig. „Stimmt. Ich komme auch bald. Versprochen.“
    „Gut.“ Zufrieden mit der Antwort ging Ruth davon. Erwin im Schlepptau. Zusammen schlurften sie die Treppe hinauf zu den Schlafräumen. Dorthin, wo auch Martin sich gemäss seinem Versprechen bald zurückziehen sollte.
    Martin verfolgte jedoch einen ganz anderen Plan.
     
     

Strang 2 / Kapitel 24
     
    Vor langer Zeit tobte ein schreckliches Gewitter, vor dem die Dorfbewohner ängstlich Schutz suchten. Selbst das Vieh floh in die trockenen Ställe. Da kam ein einziges Männchen daher. Triefnass und durchgefroren bat es um Unterschlupf. An jedem der stolzen Häuser klopfte es an, doch nirgends liess man es ein. Kaltherzig wies man es ab, schickte es weg, ignorierte es gar. Bis es an ein unansehnliches Häuschen polterte. Die Menschen, die dort lebten, hatten selbst kaum genug, doch liessen sie das Männchen ein. Zu Essen bekam es und über Nacht durfte es bleiben. Doch am nächsten Morgen war das Männchen verschwunden. Das Gewitter hatte sich ebenfalls verzogen. Die Dorfleute trauten sich wieder vor die Häuser und begutachteten den Schaden den ihnen das nächtliche Unwetter beschwert hatte. Da krachte und donnerte es. Und als die Dorfleute zum Berg blickten, entdeckten sie, dass sich die Felswand ablöste. In einer schrecklichen Lawine stürzte das Geröll auf das Dorf zu. Und dazwischen, auf einem grossen Felsblock sass das Männlein. Es schien die Lawine anzuführen. Das Geröll begrub das Dorf unter sich und alles, was darin lebte. Nur ein Häuschen blieb bestehen. Es war das der gutherzigen Gastgeber.
     
    Der Hof lag im Dunkeln. In der Zwischenzeit hatten sich die Wolken zu einer unheilvollen Mauer aufgetürmt. Am Horizont konnte man bereits das Leuchten der Blitze erkennen.
    Bald würde das Unwetter über

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