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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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Alice beugte sich zu Emma. Mit gesenkter Stimme sprach sie weiter. „Ich frage dich jetzt genauso direkt, wie du mich vorhin gefragt hast. Emma, bist du adoptiert?“
     
    Emma spürte, wie sie den Atem anhielt. Aber sie wusste nicht mehr, wie man Luft holte. Ihr Brustkorb zog sich zusammen, ihre Augen brannten. Sie glaubte, zu ersticken.
    Sie versuchte nicht hysterisch zu werden.
    Mühsam rappelte sie sich auf. Sie wankte aus dem Raum, riss die nächstbeste Tür nach draussen auf und trat an die frische Luft.
    Sie öffnete den Mund.
    Kühl und rein strömte das Lebenselixier in ihre Lungen. Sie füllten sich, bis es nicht mehr ging. Langsam stiess Emma die Luft wieder aus. Diesen Vorgang wiederholte sie mehrere Male. Immer darauf bedacht, nicht zu schnell zu atmen.
    Ihre Umgebung begann wieder klare Umrisse anzunehmen. Emma war auf die hölzerne Veranda geflohen, wie sie nun feststellte. Dankbar stützte sie sich am Geländer ab. Ein dürftiger Halt, aber auf mehr konnte sie im Augenblick nicht bauen.
    Nach einer Weile des Alleinseins ging sie zurück ins Haus. Nicht, um zu den Menschen im Wohnzimmer zurückzukehren. Dazu war sie noch nicht bereit.
    Sie ging in den Korridor, wo sie ihre Jacke aufgehängt hatte. Sie zog ihr Portemonnaie daraus hervor und klappte es auf.
    Aus dem hintersten Fach zog sie den mehrmals gefalteten, zerfledderten Fetzen Papier, den Ben ihr nach ihrem Absturz zurückgegeben hatte. Leise, um die anderen nicht auf sich aufmerksam zu machen, liess sie das Portemonnaie wieder in die Jacke gleiten und schlich sich zurück auf die Veranda.
    Sie lehnte sich an einen der Pfosten und faltete das Papier sorgsam auseinander.
    Sie las dieses Schreiben zum wahrscheinlich tausendsten Mal.
    Doch heute schien es das erste Mal einen Sinn zu ergeben.
     
     
    ‚ Mein liebes Mädchen, ich weiss nicht, ob dich diese Zeilen jemals erreichen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es gut für dich wäre. Ich überlasse die Entscheidung den glücklichen Menschen, die sich nun deine Eltern nennen dürfen. Du hast ein wundervolles Zuhause gefunden, was mich gleichermassen schmerzt und doch sehr glücklich macht. Es schmerzt, weil ich dich gehen lassen muss. Aber so ist es das Beste. Und glücklich macht es mich, weil du ein gutes Zuhause hast, in dem du sicher aufwachsen kannst. Das hast du verdient. Du hast dir eine Zukunft verdient. Ein Leben. Und Glück.
    Wenn dir die folgenden Worte wehtun, dann tut es mir leid. Doch ich schulde es meiner Familie, dir das zu sagen. Deine leibliche Familie gab dich nicht weg, weil sie dich nicht wollte. Sie hätten dich geliebt, sehr sogar. Nur bekamen sie nie die Chance dazu.
    Gott holte sie vorher zu sich.
    Dieses Schicksal wird auch mir blühen. Aber eines sei dir versichert: Ich werde immer, immer ein Auge auf dich haben.
    In Liebe, Dein Onkel ‘
     
     
    Die Tränen schnürten ihr die Kehle zu. Sie erreichten die Augen und brachten sie zum Überlaufen. Still rannen sie Emma über die Wange.
    Sie erinnerte sich genau an den Augenblick, als ihre Eltern ihr mitteilten, sie sei adoptiert worden. An diesem Tag gaben ihr ihre Eltern auch den Brief. Sie sagten, er hätte eines Tages ohne Briefmarke, ohne Poststempel, ohne Absender einfach im Briefkasten gelegen. Nach langem emotionalem Hin und Her wurde Emma schliesslich klar, dass ihre leibliche Familie nicht mehr existierte. Sie fand sich damit ab. Das war nicht besonders schwer, denn ihre Eltern waren die besten, die sie sich vorstellen konnte. Den Brief bewahrte sie dennoch auf. Als Talisman. Als Verbindung und Erinnerung an ein Leben, das sie nie kennengelernt hatte. Langsam verblasste der Inhalt des Briefes in ihren Gedanken. Sie räumte ihn aber dennoch immer mit dem gesamten Brieftascheninhalt um. Von Portemonnaie zu Portemonnaie. Schlussendlich war es auch nicht mehr wichtig, welche Zeilen darin standen. Ihre leiblichen Eltern gab es nicht mehr und damit basta.
    Sie hatte ja nicht ahnen können, welche Geschichte diese Worte bargen.
    Wenn die Vermutung denn stimmte.
    Sollte sie die verlorene Tochter von Sandrine und Gregor sein?
    Eigentlich absurd. Reine Spekulation. Absolut unmöglich.
    Schlicht lächerlich.
    Belustigt über sich selbst faltete Emma den Brief wieder zusammen.
    Hatte sie im Ernst auch nur eine Sekunde in Betracht gezogen, eine Reich zu sein?
    Töricht.
    Energisch wischte sie sich die Tränen ab.
    Das gefaltete Papier hielt sie noch in ihrer Faust, als sie zu ihrer Rechten eine Bewegung wahrnahm. Die Tür

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